Schreiben an Gruppen, die den offenen Brief an das Regierungspräsidium und die Stadt Freiburg mitgetragen haben.
Das Freiburger Forum aktiv gegen Ausgrenzung hat im April 2020 einen Offenen Brief an das Regierungspräsidium Freiburg und an die Stadt Freiburg geschickt. Wir wollten mehr über die Unterbringung von Geflüchteten in Freiburg während der Corona-Pandemie wissen. Der Offene Brief wurde von mehr als 100 Einzelpersonen und etwa 30 Gruppen mitgetragen. Dafür möchten wir uns bei allen bedanken. Der Brief und das Anschreiben haben wir auf unserer Homepage veröffentlicht.
Zwischenzeitlich liegen uns Antworten vom Regierungspräsidium Freiburg, wie auch von der Stadt Freiburg vor. Darüber und über Weiteres mehr, möchten informieren.
Das Aufnahmesystem in Erstaufnahmeeinrichtungen in Baden-Württemberg
Das Regierungspräsidium Freiburg betreibt die Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) in Freiburg, die bis zu einer Kapazität von 800 Personen (und mehr) ausgebaut werden soll. In Ellwangen, Sigmaringen und Karlsruhe befinden sich weitere Aufnahmeeinrichtungen, die wiederum auch Außenstellen in Tübingen, Giengen, Mannheim und neuerdings auch in Eggenstein-Leopoldshafen betreiben. In Althütte-Sechselberg wurde ein Isolierzentrum für an COVID-19 erkrankte Menschen für 60 Personen aus Aufnahmeeinrichtungen eingerichtet. Eine weitere Notunterkunft wurde in Bad Liebenzell vom Regierungspräsidium Karlsruhe angemietet. Mittlerweile sind auch Pläne bekannt geworden, wonach das System der Aufnahmeeinrichtungen in Karlsruhe ausgebaut werden soll. So soll in Karlsruhe eine weitere LEA gebaut werden. Über 2.600 Menschen werden dann allein unter minimalistischen Lebensbedingungen in Karlsruhe untergebracht.
Durch die letzte Gesetzgebung müssen/sollen Geflüchtete bis zu 18 Monate in den Einrichtungen leben. Anhand der langen Aufenthaltsdauer wird dadurch das dreigliedrige Aufnahmesystem (Erstaufnahme, Anschlussunterbringung, Wohnung) für einen nicht unerheblichen Teil von Geflüchteten ausgehebelt. Die lange Aufenthaltsdauer kommt dem Rechnungshof von Baden-Württemberg entgegen, der auch die Position vertritt, dass Großlager unter 1.000 Personen wirtschaftlich nicht rentabel seien. Komplett abgeschottet, zwischen Autobahnkreuz und landwirtschaftlich genutzter Fläche, soll nun in Heidelberg-Wolfsgärten ein neues ‚Ankunftszentrum‘ für Baden-Württemberg gebaut werden.
Maßnahmen des Regierungspräsidiums Freiburg gegen die Corona-Pandemie
Das zuständige Referat des Regierungspräsidium (RP) Freiburg teilt dem Forum am 21.04.2020 per Mail mit, dass „die Sozialdienste“ in der Landeserstaufnahmeeinrichtung aktuell nicht ausfallen. Eine Unabhängige Verfahrens- und Sozialberatung (UVSB) arbeitet weiter. Laut dem RP Freiburg werden alle Möglichkeiten ergriffen, um die Ansteckungsgefahr mit dem Corona-Virus so gering wie möglich zu halten. Bewohner*innen können Kontakt, mit der auf dem Gelände befindlichen Krankenstation, die durch die Uniklinik gestellt und unterhalten wird, aufnehmen. Die Leistungen orientieren sich im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG).
„Die LEA Verwaltung steht in engem Kontakt mit dem Gesundheitsamt.“ Bereits am Anfang der Corona-Krise wurde auf dem Gelände ein Gebäude für erkrankte Einzelpersonen eingerichtet. Zahlreiche Bewohner*innen sind bis zum 31. Mai 2020 in der Jugendherberge Freiburg untergebracht. „Von daher können die empfohlenen Mindestabstände eingehalten werden.“
Vulnerable Personen wurden aus der LEA verlegt. Die Belegungsdichte wurde bereits weiter verbessert. Laut RP werden Bewohner*innen in Entscheidungsprozesse einbezogen, soweit dies möglich ist. „Schutzausrüstung für Quarantänefälle, liegt soweit wie möglich vor, bzw. wir auf mehreren Kanälen versucht, weitere Schutzausrüstung zu erwerben.“
„Polizeieinsätze erfolgen nach den allgemeinen Regeln wie auch für die übrigen Teile des Landes.“ Betont wird in dem Schreiben, dass das RP als Verwaltung an Recht und Gesetz gebunden ist. Personen aus der LEA Freiburg sollen nicht in das Isolierzentrum Althütte-Sechselberg gebracht werden. Über etwaige Ausgangs- und Kontaktverbote für Bewohner*innen der LEA Freiburg entscheidet die Stadt Freiburg auf Grundlage der Empfehlungen des zuständigen Gesundheitsamtes.
Gespräch mit dem Amt für Migration und Integration (AMI)
Vom AMI bekamen wir folgende Informationen. In Freiburg leben noch etwa 2.000 Personen in 16 kommunalen Sammeleinrichtungen. Einige, vor allem Roma und Personen aus afrikanischen Ländern, leben schon Jahre in den Unterkünften. Die Mehrheit der Bewohner*innen ist 2015/2016 nach Freiburg gekommen. Die Bedingungen in den Einrichtungen sind sehr unterschiedlich. Das AMI hat bereits Anfang März 2020 eine Task-Force eingerichtet und stimmt mit den einzelnen sozialen Trägern der Unterkünfte Maßnahmen, die wegen der Corona-Pandemie getroffen werden müssen, in direktem Kontakt ab. Dazu finden wöchentlich Videokonferenzen statt.
In den kommunalen Sammelunterkünften leben 91 Personen, die einer Risikogruppe angehören. 41 von Ihnen leben innerhalb der Einrichtungen in abgeschlossenen Wohneinheiten. Für 50 Personen könnte die Sammelunterbringung zum Problem werden. Die Stadt Freiburg hat ebenfalls, wie das Regierungspräsidium Freiburg, ein Teil der Jugendherberge Freiburg angemietet. Plätze wurden vulnerablen Personen angeboten. Bis zum 9. April 2020 sind 5 Personen in die JHB eingezogen.
Seit mehreren Wochen existiert ein Besuchs- und Kontaktverbot in den Unterkünften in Freiburg. Das Verbot galt zunächst bis zum 3. Mai 2020 und wurde bis zum 31. Mai 2020 verlängert. Der Sozialdienst ist zwar noch vor Ort, der Kontakt findet jedoch per Telefon oder online statt. Dringende Angelegenheiten werden an der frischen Luft bei gebührendem Abstand besprochen. Die Stadt hat Einkaufs-Angebote für die Bewohner*innen eingerichtet. Für den Fall einer Erkrankung werden Wohneinheiten isoliert. Medizinisch wurden verschiedene Vorbereitungen getroffen. Die Verwaltung rechnet damit, dass Erkrankungen in den Sammelunterkünften möglich sind.
Eine Einschätzung zur Landeserstaufnahmeeinrichtung
Zum Gesundheitsaspekt in Sammelunterkünften. Das Corona-Virus existiert weiter. Aktuell verbreitet sich das Virus langsamen. Laut Virologen besteht in Innenräumen eine erhöhte Ansteckungsgefahr. Im Herbst und Winter ist mit einem weiteren Anstieg zu rechnen. Solange kein Impfstoff gegen das Corona-Virus gibt, wird eine Unterbringung in einer Massenunterkunft zum Gesundheitsrisiko. In etwa einem Jahr wird es voraussichtlich einen Impfstoff geben.
Eine Unterbringung in Sammelunterkünften ist mit einer Großveranstaltung zu vergleichen, in der eine Ansteckung mit COVID-19 besonders gegeben ist. Das Innenministerium von Baden-Württemberg bezeichnet die „Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen dienenden Strukturen zur kritischen Infrastruktur des Landes“. In der Landeserstaufnahmeeinrichtung Ellwangen haben sich 406 Bewohner*innen mit dem Corona-Virus infiziert. Aus zahlreichen Sammellagern bundesweit werden erhöhte Infektionszahlen gemeldet. In Schweinfurt (Geldersheim) ist ein 60 jähriger in einem Anker-Zentrum gestorben. Obwohl er der Risikogruppe angehörte, konnte er das dortige Anker-Zentrum nicht verlassen. Am Sonntag den 26.04.2020 verstarb ein 35 jähriger Geflüchteter im Münchener Klinikum, der zuvor in einer Sammelunterkunft untergebracht war.
Der Verdacht einer ‚Durchseuchungspolitik‘ in manchen Massenlagern drängt sich auf. Das trägt zur weiteren Stigmatisierung der Geflüchteten und Gerüchten bei. Ein-, Ausgangs- und Besuchsverbote, Quarantäne in Sammellagern, Tag und Nacht Bewachung durch die Polizei erinnern an Berichte aus der Slowakei, Rumänien und Bulgarien, wo die Polizei ganze Roma-Siedlungen abgeriegelt hat.
Sammellager sind Orte der Ansteckung. Nicht nur bei COVID-19. Das Landesgesundheitsamt von Baden-Württemberg zählt weitere Krankheiten auf: Masern, Windpocken, Influenza, Krätzmilben, Kopfläuse, Tuberkulose, Meningokokken etc. „Fehlende Impfungen und beengte Verhältnisse, wie in Aufnahmestellen, können dieses Risiko erhöhen. Dauer und der Art der Kontakte bestimmen ganz wesentlich die Möglichkeiten für eine Ansteckung.“ Das Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg sieht eine „Quarantäne aller Bewohner“ einer LEA als Sonderfall. Es empfiehlt in einem Schreiben vom 15.04.2020 an die Regierungspräsidien keine Verhängung einer Quarantäne, da sich diese bei immer wieder neuen Infizierten über über Monate erstrecken kann. „In diesem Fall muss theoretisch eine Einrichtung für mehrere Monate geschlossen bleiben.“
Der Rechnungshof Baden-Württemberg schreibt in einer Denkschrift 2017: „Aus betrieblich-organisatorischen Gründen sollte angestrebt werden, dass die Landeserstaufnahmeeinrichtungen eine Regelkapazität von 1.000 Plätzen nicht unterschreiten.“ Unter dem Thema „Wirtschaftlichkeit von Erstaufnahmeeinrichtungen“ stellt die Landesregierung von Baden-Württemberg fest, dass durch die Neugestaltung der Aufnahme von Flüchtlingen ein degressiver Abbau von Unterbringungskapazitäten in den Kommunen stattfindet. „An allen vier Standorten (Freiburg, Karlsruhe, Ellwangen, Sigmaringen mit Außenstellen) stehe eine Maximalkapazität von bis zu 1.000 Plätzen zur Verfügung.“ Damit wird ein großer Teil von Geflüchteten von dem dreigliedrigen Aufnahmesystem in Baden-Württemberg ausgeschlossen und verbringen die gesamte Zeit während des Asylverfahrens in einem der Großlager. Dazu will die Landesregierung am 30. Juni 2020 nochmals einen Bericht vorlegen.
Das Konzept der baden-württembergischen Aufnahmepolitik, die in dem Aufnahmezentrum und den Landeserstaufnahmeeinrichtungen umgesetzt wird, ist nach Auffassung des Freiburger Forums aktiv gegen Ausgrenzung, am Corona-Virus und an der Infragestellung von Grund- und Menschenrechten gescheitert.
Die Einrichtung der Ankunftszentren und Erstaufnahmeeinrichtungen war der politische Kompromiss zu den von der CSU 2016 vorgeschlagenen Transitzonen, die direkt an den Grenzen entstehen sollten. In diesen Einrichtungen, die die Erfahrungen der ‚Bezirksstellen für Asyl‘ der 90er Jahre aufgreifen, werden die Abläufe des Asylverfahrens für bestimmte Flüchtlingsgruppen auf 24 bis 48 Stunden verkürzt. Auf der Strecke bleiben Verfahrens– und Aufenthaltsrechte für die Betroffenen und ein eingeschränkter rechtlicher Zugang zum Verfahren. Von zahlreichen Verbänden, Anwälten, Menschenrechtsorganisationen etc. wurden die Umsetzung dieser Einrichtungen kritisiert. Weiterhin ist mittlerweile genau das eingetreten, was viele befürchtet haben. Betroffene müssen 18 Monate und mehr in einer Erstaufnahmeeinrichtung unter fragilen, prekären, kontrollierten und fremdbestimmten Bedingungen leben.
Ergänzende Informationen
Wie das Freiburger Forum aktiv gegen Ausgrenzung erfahren hat, wurden am 28. April von der Außenstelle der Landeserstaufnahmeeinrichtung Ellwangen in Giengen alle Infizierten in andere Einrichtungen verlegt. 20 Geflüchtete wurden in den Quarantänebereich in die LEA Freiburg gebracht.
Eine Einschätzung zur kommunalen Sammelunterkünften
Die Stadt Freiburg betreibt seit den 80er Jahren Sammelunterkünfte für Geflüchtete. Hintergrund für die Einrichtung der Sammelunterkünfte bildete eine spezielle baden-württembergische Aufnahmepolitik in Sammellagern und die Asylgesetzgebung seit 1982, mit der Verabschiedung des Asylverfahrensgesetz (heute Asylgesetze). Die ältesten Sammelunterkünfte in Freiburg befinden sich in der Bissierstraße, Hermann-Mitsch-Straße und in der Hammerschmiedstraße.
Nach aktuellen Informationen, geht das Freiburger Forum aktiv gegen Ausgrenzung davon aus, dass die Stadt Freiburg auf kommunaler Ebene zahlreiche Möglichkeiten ergriffen hat um eine Ausbreitung des Coronavirus in den Sammelunterkünften zu verhindern. Sorgen machen etwa 50 Personen, die einer Risikogruppe angehören und in Sammelunterkünften leben.
Zum 08.05.2020 waren in der Stadt Freiburg 967 Personen mit dem CoronaVirus infiziert, davon sind 76 Personen im Alter zwischen 55 und 98 Jahren gestorben. Glücklicherweise ist nach unseren Kenntnissen bislang noch niemand am Corona-Virus in kommunalen Unterkünften erkrankt. Bei der Stadt Freiburg rechnet man jedoch früher oder später mit einer Corona-Infizierung von Personen in Sammelunterkünften.
Wer in Freiburg in einer kommunalen Sammelunterkunft lebt, unterliegt den Regeln der Hausordnung. Die Hausordnung der Sammelunterkünfte engt das Leben der Menschen ein. Eine Übernachtung eines Besuchs ist in der Regel nicht erlaubt. Nach 22 Uhr müssen Personen, die nicht in einer Sammelunterkunft leben, die Einrichtung verlassen. Viele leben beengt in Mehrbettzimmern und benutzen eine Gemeinschaftsküche. Einige leben schon jahrelang mit einer Duldung in beschriebenen prekären Aufenthaltsverhältnissen. Vor allem sind Roma aus dem Balkan davon betroffen. Vor jeder Sammelunterkunft stehen Sicherheitsleute. Durch die Unterbringung in Sammelunterkünfte fühlen sich viele ins Abseits abgeschoben. Auch die hohen Wohnheimgebühren, die bezahlt werden müssen, wenn jemand einer Arbeit nachgeht, stoßen auf Unverständnis und Kritik.
Nach Auffassung des Freiburger Forums aktiv gegen Ausgrenzung braucht es in der Stadt Freiburg, d.h. auch innerhalb der Verwaltung und des Gemeinderates, einen selbstkritischen Rückblick zu fast 40 Jahren Sammelunterkünfte in der Stadt Freiburg.
- Was hat man daraus gelernt, wo hat die Stadt falsch gehandelt, was war richtig, was hätte in kommunaler Eigenverantwortung, trotz Weisungsgebundenheit besser gemacht werden können?
- Wo bestehen für die Stadt Spielräume. Was bedeutet die politische Zustimmung von Verwaltung und Gemeinderat zur Errichtung einer Landeserstaufnahmeeinrichtung und die Folgen für Freiburg?
- Die Stadt Freiburg hat sich von der kommunalen Aufnahme von Geflüchteten durch die Einrichtung des Landeserstaufnahmeeinrichtung befreit.
- Inwiefern, will die Stadt in Zukunft flüchtlingspolitische Verantwortung übernehmen?
Um einem Asylrecht gerecht zu werden, braucht es dezentrale kleine Aufnahmeeinrichtungen in Städten und Gemeinden, die allen Herausforderungen einer Flüchtlingsaufnahme gerecht werden.
Die Aufnahme von Geflüchteten muss, auch angesichts der weltweiten Entwicklungen wieder zur Normalität werden. Ein funktionierendes Asylrecht trägt zu Konfliktlösungen bei. Dabei muss vielfältiges solidarisches Handeln der Bevölkerung möglich sein. Den Betroffenen muss ihre Selbstbestimmung und damit ihre Grund- und Menschenrechte gewährt werden. Außerhalb des Asylverfahrens müssen wieder mehr Aufenthaltsmöglichkeiten geschaffen werden.
Freiburger Forum aktiv gegen Ausgrenzung
08.05.2020