Wir unterstützen die Forderungen des Bundes Roma Verband e.V.
Das Mahnmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Roma und Sinti Europas in Berlin erinnert an Verfolgung und Vernichtung, an Überleben und Deportation. Dort versammelten sich im Mai 2016 etwa 50 Roma versammelt, um gegen ihre Abschiebungen und die strukturelle Diskriminierung, soziale und politische Ausgrenzung zu protestieren. Nachts wurde die Versammlung am Mahnmal gewaltvoll von der Polizei geräumt.
Weder in den als sicher eingestuften Herkunftsstaaten noch in Deutschland finden Roma einen Ort, an dem ihnen ein Leben in Würde möglich ist. Das Wort Deportation ist heute mit der Praxis der nächtlichen unangekündigten Abschiebungen in existentielle Unsicherheit und Verfolgung in den Sprachgebrauch der Roma zurückgelangt. Alle zuletzt beschlossenen Verschärfungen des Asyl- und Aufenthaltsrechts wirken sich auf die Situation von Roma in Deutschland als dramatische Verschlechterung aus.
„Viele von uns, auch kleine Kinder und Jugendliche, leben in ständiger Angst vor staatlichen Organen und müssen sich, wenn die Abschiebung droht, auch in Deutschland im Untergrund aufhalten. Das bedeutet kein Zugang zu ärztlicher Versorgung, zu Bildung, Arbeit und öffentlichem Leben. Grund- und Menschenrechte bleiben uns verwehrt, unsere Würde wird uns entrissen. Diese permanente Entrechtung zementiert sowohl gesellschaftlich wie auch staatlicherseits einen Zustand, aus dem wir alleine nicht herausfinden sollen“ so das Fazit der seit den Kriegen in Jugoslawien in Unsicherheit befindlichen Romnja und Roma.
Roma sind nirgendwo sicher. In den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens haben sie keine Rechte, selbst wenn diese von der Bundesrepublik und den jeweiligen Regierungen vereinbart werden. Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien sind, auch nach ihrer Einstufung im deutschen Recht als „sichere Herkunftsstaaten“, für Roma nicht sicher. Damit wird jegliche Chance auf Flüchtlingsanerkennung genommen. Die Regelung der „sicheren Herkunftstaaten“ kommt für Roma einer Abschaffung des Asylrechts gleich.
Nahezu allen Roma in diesen Ländern bleibt nicht nur der Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt, sondern auch jede Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Nach Erkenntnissen aller internationalen Organisationen – ob Europarat, OSZE, Recherchegruppe, Roma Antidiscrimination Network, Pro Asyl oder GfbV etc. – ist die Lage der Roma in der Region hoffnungslos. Durch den starken Rassismus gegen Roma in Serbien und Mazedonien, leben viele Roma in selbst gezimmerten Baracken in informellen Siedlungen, oft ohne fließendes Wasser oder Anschluss an jede Art offizieller Infrastruktur. Roma werden nicht eingestellt, finden im Krankheitsfall kaum kostenlose medizinische Hilfe. Die Kosten für medizinische Grundversorgung im Kosovo müssen nach Recherchen von AnwältInnen, ÄrztInnen und JournalistInnen in Zusammenarbeit mit dem Bleiberechtsnetzwerk „alle bleiben“ auch von Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft übernommen werden – die Roma trifft das aber umso härter, weil sie keinen Zugang zum Arbeitsmarkt und infolgedessen auch kein Geld zur Verfügung haben. Fälle, in denen selbst Kindern von Roma mit chronischen Erkrankungen die an sich staatlich garantierte kostenlose medizinische Versorgung verweigert wird, sind mörderisch und führen zu einer erhöhten Kindersterblichkeit.
Immer wieder werden sie Ziel von nationalistischen Angriffen. Schulbesuch ist für die Kinder kaum möglich wenn öffentlich zu Gewalt gegen die Minderheit aufgerufen wird. Nicht nur die neonazistische Srbska Akcija (Serbische Aktion) verherrlichte die Bedrohung und Vertreibung der Roma1. Aus Mazedonien berichtet das Helsinki Komitee von rassistischen Angriffen, nach denen häufig die Opfer und nicht die Täter Schwierigkeiten bekommen. Fälle, in denen Angehörige des Polizeiapparates angezeigt waren, wurden mit Erpressung und Druck beantwortet, so dass die Anzeigen zurück gezogen werden. An den Grenzen kommt es zu ethnischem Screening, infolge dessen Roma an der Ausreise gehindert werden.
Die wirtschaftliche Lage in den exjugoslawischen Ländern ist so problematisch, dass häufig auch die Armen der Mehrheitsgesellschaften unter dem Existenzminimum leben. Die Roma, von denen auch nach über fünfzehn Jahren noch viele als unregistrierte Binnenflüchtlinge ein Schattendasein führen, haben keine Chance, sich ihrem wirtschaftlichen Vorkriegszustand auch nur anzunähern. Wenn die Familien Häuser hatten, sind diese entweder zerstört oder von Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft zwangsenteignet. Nach der NATO-Intervention im Kosovo-Krieg 1999 wurden 120.000 der vormals rund 150.000 Roma, Aschkali und Kosovo-Ägypter von nationalistischen Albanern mit Gewalt aus dem Land vertrieben: 14.000 der rund 19.000 Häuser wurden zerstört, 70 von 75 Stadtteile und Dörfer dem Erdboden gleichgemacht. Unter den Augen der internationalen Truppen.
Die hiesige Annahme, dass Roma Entwicklungshilfe zukommt, schlägt fehl. Die Korruption hindert die ohnehin fragwürdigen Vereinbarungen. Es ist eines Rechtsstaates unwürdig, mit PolitikerInnen zu verhandeln, die schon in Zeiten der Vertreibungen von Roma aus dem Kosovo 1999/2000 an Krieg und Korruption beteiligt waren.2
Im EU-Erweiterungsprozess werden den Staaten, die den Beitritt in die Europäische Union anstreben nicht etwa Bedingungen gesetzt, die die Ausgrenzung der Roma beenden. Vielmehr verstärkt der auf die Staaten ausgeübte Druck, abgeschobene Minderheitenangehörige zurücknehmen oder überhaupt erst an der Ausreise zu hindern die Ausgrenzung und Verfolgung der Roma zusätzlich.
Durch den aktuellen politischen Rechtsruck in Europa wird die Diskriminierung von Roma verstärkt, ihre Ausgrenzung durch rassistisch-nationalistische Ideologien massenwirksam legitimiert.
Es gibt rechtliche Regelungen, die es ermöglichen, die Schutzbedürftigkeit von Roma anzuerkennen. Doch internationale Vereinbarungen werden nicht umgesetzt. Die Genfer Flüchtlingskonvention wird ausgehebelt und Menschenrechtsverletzungen in den Herkunftsländern nicht als solche anerkannt. In anderen europäischen Staaten sind die Anerkennungsquoten deutlich höher. Die Einstufung der Balkanländer als „sicher“ entspricht nicht nur in keinster Weise der Realität. Sie stellt auch einen verfehlten Versuch dar, dem Einfluss rechtspopulistischer Kräfte zu entsprechen. Diese Politik bedient rassistische Stereotype, sie legitimiert und schürt rassistische Ressentiments und Gewalt.
Eine andere rechtliche Möglichkeit wäre, vor dem Hintergrund der historischen Verantwortung Roma als Kontingentflüchtlinge in Deutschland anzuerkennen. Über zweihunderttausend Jüdinnen und Juden aus der ehemaligen Sowjetunion sind nach 1991 nach Deutschland gekommen, seit ihre Aufnahme von der Bundesrepublik beschlossen wurde. Selbstverständlich ergibt sich aus der historischen Verantwortung gegenüber den Opfern des Holocausts und deren Nachfahren, dass ihnen Schutz vor Verfolgung gewährt wird. Es geht uns nicht darum, Unrecht zu vergleichen. Doch einer perfiden Doppelmoral folgend, ist es in der Bundesrepublik immer noch möglich, Roma, die Schutz vor Verfolgung und Ausgrenzung suchen, in eine Situation der absoluten Perspektivlosigkeit zu schicken. Der Paragraf 23 Aufenthaltsgesetz räumt dem Bundesinnenministerium des Innern und obersten Landesbehörden das Recht ein, Roma als einer bestimmten Gruppe dieses Aufenthaltsrecht zu gewähren. Im Rahmen einer Gleichbehandlung mit den Jüdinnen und Juden aus Osteuropa muss Roma durch Ministererlass ein solches Aufenthaltsrecht gewährt werden.
Wir fordern die Bundesregierung dazu auf, die Einstufung von Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien als „sichere Herkunftsstaaten“ zurückzunehmen!
Wir fordern ein bedingungsloses Einreise- und uneingeschränktes Bleiberecht für Roma!
Wir fordern einen sofortigen Abschiebestopp. Jetzt – und für immer!
Weiterführendes Material: