Flugblatt auf der Anti-Pegida Demonstration am 23. Januar 2015 in Freiburg.
Nationalistische Antidemokraten machen seit Wochen, vor allem in Dresden, mobil gegen das „politische und mediale Establishment“, wie es die Zeit formulierte. Von „Lügenpresse“ ist die Rede. Ein Begriff der völkischen Bewegung zu Beginn des 20. Jahrhundert, der später in den Reden und Schriften Goebbels fester Bestandteil war. Sie fordern Bürgerentscheide nach dem Vorbild der Schweiz und wollen vor allem Flüchtlingsrechte beseitigen. Sie schaffen Ressentiments gegen als muslimisch markierte Menschen, Geflüchtete und Migrant_innen. Auf sehr komplexe Fragen werden sehr einfache, populistische Antworten gegeben. Die „Systemmedien“ werden bekämpft, da ihre Berichterstattung nicht deckungsgleich mit ihren Phrasen ist, es entsteht „die Lügenpresse“, die „islamistische Bedrohung des Abendlandes“, die „Gefahr durch Zuwanderung“, „die kriminellen Flüchtlinge“ und was auch immer.
Deutsche Politiker_innen, Journalist_innen und Künstler_innen erhielten zutiefst beunruhigende Drohbriefe aus den Reihen von Pegida Demonstrant_innen, sei es weil ihre Namen für sie nicht „deutsch“genug klangen oder weil sie die Organisation Pegida kritisierten.
Protest gegen Ausgrenzung, Diskriminierung und nationalistische Strömungen
Gegen die Demonstrationen der nationalistischen Antidemokraten gingen bereits zehntausende Menschen auf die Straße. „Wir lassen uns durch Hass nicht spalten“ hört man aus Dresden, „Flüchtlinge sind willkommen! Gegen Pegida, Rassismus und Hetze“ aus Stuttgart und „München ist bunt“. In Köln und in anderen Städten stellt man sich der „Anti-Islam-Bewegung“ mit Begrifflichkeiten für eine „Willkommenskultur“ und „Zuwanderung“ entgegen. Mit Blick auf die größte Flüchtlingsbewegung der letzten Jahrzehnte mit mehr als 51 Millionen Menschen (die Hälfte davon Kinder), Bildern vom Krieg im Irak, Syrien und Afghanistan und dem Ertrinken von tausenden Bootsflüchtlingen entfachte sich eine Diskussion über ein neues Verständnis europäischer und deutscher Asylpolitik.
Auch die Flucht tausender Angehöriger von Roma und Ashkali, vor allem aus den Ländern des Balkans, eröffnete eine Diskussion über eine lebensbedrohliche sozial-ökonomische Diskriminierung als Fluchtgrund. Die zahlreichen Aktionen und Proteste selbstorganisierter Flüchtlingsgruppen gegen die rassistische und restriktive Asylpolitik, gegen Aufenthalts- und Verfahrensbedingungen in den letzten Jahren, das Engagement unzähliger örtlicher Asyl- und Flüchtlingsinitiativen bis hin zu PRO ASYL, haben zu einer Diskussionskultur beigetragen, die sich an demokratischen Grundwerten von Gleichheit, Partizipation, Toleranz und Vielfältigkeit in der Gesellschaft orientiert.
Weitere Angriffe auf die Rechte von Flüchtlingen
Derzeit werden emanzipatorische Bewegungen und Bemühungen durch menschenfeindliche Mentalitäten, Handlungsweisen, Debatten und Aktionen, insbesondere aus dem nationalistischen Milieu, angegriffen. Die Proteste nationalistischer Antidemokraten rufen nach mehr Polizei, kürzeren Asylverfahren, einer restriktiven Anwendung vorhandener Gesetze gegen Geflüchtete und nach mehr Abschiebungen.
Das sind Forderungen, die mit Teilen des politischen Mainstreams der Bundespolitik durchaus kompatibel sind. Denn Forderungen, die sich gegen Geflüchtete richten, sind auch in der Mitte der Gesellschaft zustimmungsfähig. 1993 führte der Druck aus der rechten Ecke dazu, dass CDU, CSU und SPD eine Einschränkung des Asylrechts beschlossen. 2014 wurde das Asylrecht weiter beschädigt, indem drei Balkanländer als „sichere Herkunftsländer“ eingestuft wurden, mit den Stimmen von CDU, CSU, SPD und GRÜNEN. Sachsen und Bayern wollen weitere Staaten als „sichere Herkunftsländer“ einstufen.
Realität der Flüchtlingspolitik
Die Forderung von Pegida nach einer „massiven Verfahrensverkürzung“ im Flüchtlingsrecht, die zu einer weiteren Ungleichheit im Rechtsschutz und Sonderrecht im Verfahrens- und Prozessrecht führen wird, ist aktuell bereits gegeben. Bei Antragsteller_innen aus so genannten „sicheren Herkunftsländern“ wird „das gesamte Verfahren (…) innerhalb weniger Tage abgeschlossen, so dass eine Abschiebung in weniger als einem Monat (…) erfolgen kann“, so aktuell das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Auch der Beschluss der Innenministerkonferenz vom 12.12.2014 nach einer höheren Personalausstattung des Bundesamtes mit dem Ziel, die Bearbeitungszeit der Asylverfahren auf drei Monate zu reduzieren, entspricht ihren Forderungen. Weiterhin sollen Geflüchtete, die aus „sicheren Drittstaaten“, vor allem aus anderen EU-Staaten eingereist sind, innerhalb von drei Monaten (Dublin III) dorthin wieder abgeschoben werden, auch wenn ihr Überleben dort nicht gesichert ist und sie schutzlos Gewalt und rassistischen Übergriffen ausgesetzt sind. Dazu haben die Länder mit dem Bundesamt am 13.11.2014 eine ganze Reihe fragwürdiger Maßnahmen getroffen.
PRO ASYL hingegen ruft aktuell in einem Appell für Flüchtlingsschutz gegen Dublin III auf. Während PRO ASYL „für die freie Wahl des Aufnahmelandes und für die Freizügigkeit eintritt“, vertritt Pegida sozialdemokratische Positionen und fordert ebenfalls einen „gesamteuropäischen Verteilerschlüssel für Flüchtlinge“. Momentan liegt ein Gesetzentwurf zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vor. Danach sollen Einreise- und Aufenthaltsverbote gegen Geflüchtete ausgesprochen werden können, die Abschiebehaft soll erleichtert und ausgeweitet, ein neues zweifelhaftes Institut des „Ausreisegewahrsams“ soll eingeführt werden.
Die ‚Richtigen‘ und die ‚Falschen Geflüchteten‘
Eine Verfolgung ist nicht nur durch unmittelbare Repression und Verfolgung begründet. Auch Diskriminierung in Bezug auf wirtschaftliche, soziale und kulturelle Lebenschancen, die wesentlich für ein Leben in menschlicher Würde sind, ist Indiz für eine Verfolgung. Ohne Zugang zur Arbeit, Bildung, medizinischer Versorgung und Wohnung ist ein Leben nicht möglich. Den unerwünschten Geflüchteten wird das Recht auf einen Schutz verweigert. Von ‚falschen Flüchtlingen‘ ist die Rede. Zehntausenden Menschen droht nach den aktuellen und geplanten Gesetzen in den nächsten Monaten die Abschiebung. Davon sind v.a. Geflüchtete aus den Balkanstaaten betroffen sowie alle, die über einen „Drittstaat“ eingereist sind. Vielen anderen droht ebenfalls ein verkürztes Asylverfahren.
Die „Retter des Abendlandes“ knüpfen an den medialen Verschränkungen eines Islamdiskurses an, die über Jahre ein feindliches Islambild in der Gesellschaft genährt haben. Diese über die Medien geschaffene Realität hat nur bedingt etwas mit subjektiver oder politischer Realität zu tun.
Die Verschränkungen des Islamdiskurses
„Durch die Verbindung von Islam- und Sicherheitsdiskurs erfolgt eine Kriminalisierung muslimisch markierter Menschen, die als Rechtfertigung von Kontrolle dient, und so als Mittel zur Verschleierung von strukturellem Rassismus nutzbar wird. Die Diskursverschränkungen um das Deutungsmuster einer „muslimischen Bedrohung“ von Freiheitsrechten dienen der Stärkung eines positiven ‚deutschen‘ und ‚westlichen‘ Selbstbildes. Die Verbindung mit dem Sozialdiskurs trägt zur Legitimation von Sozialstaatsabbau und Kulturalisierung von Armut bei. Über das Paradigma der Integration wird in Koppelung mit dem Einwanderungsdiskurs hingegen die kulturelle Dominanz der weißen-deutschen Mehrheitsgesellschaft aufrecht erhalten. Der Diskurs über Problembezirke verortet die dominanten antimuslimischen Deutungsmuster schließlich in einem begrenzten Raum und ‚Gefahrenherd‘ jenseits von gesamtgesellschaftlichen Strukturen, so Friedrich und Schultes.
Diese Diskussionsverschränkungen treffen auch auf Geflüchtete zu. Ein Gegendiskurs und eine kritische Bestandsaufnahme der für antimuslimischen Rassismus relevanten Themenfelder ist wichtig. Ein solcher Gegendiskurs kann zur Destabilisierung der rassistischen Normalität beitragen.
Darum müssen die Gesellschaft und ihre Politiker_innen aktiv werden.
Jede und jeder kann dabei mithelfen und handeln:
Was tun?
- gegen Abschiebungen (Tag X) protestieren
- für einen sofortigen Winterabschiebestopp eintreten: Hierzu Politiker_innen anschreiben
- Protestieren gegen ‚Dublin III‘, welches faire Asylverfahren verhindert: www.wir-treten-ein.de
- machtkritisch informiert bleiben; sich und andere für Rassismen sensibilisieren
- Willkommenskultur schaffen statt Lagerunterbringungen und Abschiebehaft
- Rassismen und stereotype Bilder dekonstruieren & interkulturelle Räume des Zusammenlebens schaffen
- Spenden an den Rechtshilfefonds für Flüchtlinge (Solifonds Freiburger Forum; Kt. 361526 BLZ 68092000)Wir fordern gemeinsam…
- legale Fluchtwege statt Menschen auf offenen Meer ertrinken zu lassen www.watchthemed.net
- mehr Transparenz innerhalb der Asylverfahren
- dezentrale Unterbringung und menschenwürdiges Leben für Geflüchtete
- mehr Aufklärung über die lebensbedrohlichen Folgen rassistischer Organisationen und Strukturen sorgen – Zivilcourage fördern! www.phoenix-ev.org www.netzwerk-courage.de
- Geflüchteten zuhören und sie in ihren Forderungen unterstützen
www.thevoiceforum.org www.women-in-exile.net
Für eine starke Zivilgesellschaft, die nicht wegschaut!