Flüchtlinge ja, Kasernierung nein

Stellungnahme zur Diskussion um eine neue Landeserstaufnahmestelle in Freiburg

Die Stadt Freiburg verhandelt derzeit mit der Landesregierung über die Einrichtung einer Landeserstaufnahmestelle (LEA) auf dem Gelände der Polizeiakademie. Landeserstaufnahmestellen sind Einrichtungen, in denen Geflüchtete bis zu drei Monate wohnen müssen, wenn sie einen Asylantrag stellen. An die LEA ist eine Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) angegliedert, bei der Asylanträge zu stellen sind. Daneben sollen in der LEA eine medizinische Untersuchung sowie die Identifizierung besonders schutzwürdiger Personen stattfinden. Anschließend werden die Flüchtlinge in die Städte und Landkreise verteilt, wo sie entweder in Gemeinschaftsunterkünften oder in Wohnungen untergebracht werden. Derzeit existiert eine LEA in Karlsruhe. Diese ist überlastet. Aufgrund von steigenden Flüchtlingszahlen will das Land eine weitere LEA schaffen.

Selbstverständlich müssen die unzumutbaren Zustände in der Karlsruher LEA so schnell wie möglich beendet werden. Eine weitere LEA ist aber keine zureichende Lösung. Zentrale Aufnahmeeinrichtungen sind darüber hinaus grundsätzlich problematisch. Flüchtlinge werden von der ‚Normalbevölkerung‘ isoliert. Und selbst unter günstigen Bedingungen ist es immer problematisch, wenn Menschen ihren Wohnort nicht frei wählen können und unter in eine Zwangsgemeinschaft mit mehreren hundert Anderen zusammengepackt werden.

LEAs sind als Elemente einer Flüchtlingspolitik entstanden, die auf Abschreckung zielt: Sie gehen auf eine Lagerpolitik zurück, die in Baden-Württemberg eine lange Tradition hat. Lange bevor die Einrichtung von zentralen Aufnahmestellen bundesweit zur Pflicht wurde, richtete die Landesregierung im Jahr 1980 die Zentrale Anlaufstelle (ZAST) ein, in der alle Asylantragsteller_innen vorübergehend untergebracht wurden. Primäres Ziel war nicht die menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen , sondern die Abschreckung und die Ermöglichung einer schnellstmöglichen und reibungslose Abschiebung. Der damalige Ministerpräsident sprach von einer „Abschreckungsmaßnahme“ und sah sich drei Jahre nach Einrichtung der ZAST bestätigt: „Die Zahl der Asylbewerber ist erst gesunken, als die Buschtrommeln signalisiert haben: Geht nicht nach Baden-Württemberg, dort müßt Ihr ins Lager.“[1]

Entsprechend sieht bis heute die Landeserstaufnahmestelle in Karlsruhe aus: Die Geflüchteten leben in völlig überfüllten, umzäunten Wohnblocks. Es gibt kaum Privatsphäre. Die medizinische Versorgung ist unzureichend. Das teilweise ungeschulte Personal ist völlig überfordert, es kommt regelmäßig zu Konflikten.
Eine weitere Funktion der LEA ist die Ermöglichung einer möglichst schnellen Abschiebung von abgelehnten Asylbewerber_innen. In der Einrichtung sind alle relevanten Behörden konzentriert. So soll es möglich sein, das Asylverfahren innerhalb weniger Wochen durchzuführen und gegebenenfalls aus der Einrichtung heraus die Abschiebung einzuleiten.[2]

Die Landeserstaufnahmestellen sind somit Bestandteil einer Politik, die auf Abschreckung und schnellstmögliche Abschiebung zielt. Wir fordern daher die dezentrale Unterbringung in Wohnungen von Anfang an anstelle der Kasernierung von Flüchtlingen in Sammellagern.

Dies beinhaltet langfristig auch die Schließung der LEA in Karlsruhe. Bis dahin sollte das Land die desolaten Zustände in Karlsruhe vor allem dadurch beenden, dass die Antragsteller_innen zügiger als bisher auf die Städte und Landkreise verteilt. Die Städte und Landkreise sollten dafür den entsprechenden Wohnraum zur Verfügung zu stellen und gegebenenfalls schaffen.

Kritik ist aber auch aus einem anderen Grund angebracht: Die Stadt Freiburg verfolgt offenkundig das Ziel sich ihrer Verantwortung für die dauerhafte Unterbringung von Geflüchteten zu entledigen. Denn wenn die LEA nach Freiburg käme, dürfte dasselbe gelten, wie jetzt für Karlsruhe: Von der Anschlussunterbringung wäre Freiburg dann befreit. Freiburg würde zu einer Durchgangsstation für neu ankommende Asylbewerber_innen. Eine dauerhafte Aufnahme wäre nur noch in Ausnahmefällen (Kontingentflüchtlinge) vorgesehen.

Das konterkariert die Bekundungen des Gemeinderats, Freiburg sei eine offene Stadt. So heißt es in einem Gemeinderatsbeschluss aus dem Jahr 2006, bestätigt im Jahr 2010: „Freiburg ist eine offene Stadt. Offenheit und Liberalität sind ein hohes Gut, das sich täglich neu erweisen muss. Ein tolerantes Gemeinwesen hat auch in schwierigen Zeiten Verantwortung für all jene zu übernehmen, die hilflos sind und Schutz vor Verfolgung suchen.“

Deshalb fordern wir die Stadt auf, die Einrichtung einer LEA nicht als Alternative zur weiteren dauerhaften Aufnahme von Flüchtlingen zu verstehen. In den anstehenden Verhandlungen mit dem Land sollte die Bereitschaft erklärt werden, auch künftig Asylsuchende und Geduldete aufzunehmen. Freiburg sollte modellhaft vorangehen und Flüchtlinge in der Mitte der Stadtgesellschaft aufnehmen. Das heißt, sie dezentral menschenwürdig in Wohnungen unterzubringen. Daraus leitet sich die Verantwortung ab, alles dafür zu tun, dass für Flüchtlinge und andere benachteiligte Gruppen genug bezahlbarer Wohnraum zu Verfügung steht. Es gilt sie als festen Bestandteil Freiburgs zu sehen, der auch bei der Wohnungspolitik nicht mehr vergessen werden darf.

Freiburger Forum, 22.09.2014

[1] Stuttgarter Nachrichten, 19.7.80 und Schwäbisches Tagblatt Tübingen, 5.5.1983, zitiert nach Flüchtlingsrat Karlsruhe: Abschreckung durch Lager, S. 27.

[2] Barbara Bütikofer, Flüchtlingsrat Karlsruhe: Die Regierungspolitik begibt sich in zunehmend offenen Gegensatz zum christlichen Menschenbild, S. 14, 23; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Die Organisation der Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerbern in Deutschland, S. 12.

Presse:

Speichere in deinen Favoriten diesen permalink.

Kommentare sind geschlossen.