Umgang der Stadt Freiburg mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (insbesondere Antiziganismus) in ortsrechtlichen Bestimmungen

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Salomon,
sehr geehrte Mitglieder des Gemeinderates,

das Freiburger Forum aktiv gegen Ausgrenzung musste feststellen, dass im Freiburger Ortsrecht alte Vorurteile, auch ein ganz offenen Antiziganismus, immer noch festgeschrieben sind.

In den Eingliederungsvereinbarungen der Stadt Freiburg i. Br. mit den Gemeinden Hochdorf,  Munzingen, Opfingen, Tingen und Waltershofen verpflichtet sich die Stadt Freiburg, keine „Einrichtungen störenden Charakters (wie z.B. Plätze für Zigeuner und Landfahrer, Obdachlosenasyl, Dirnenhaus) auf der Gemarkung“ des neuen Stadtteils zuzulassen. (Siehe Anlage A. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in den Eingliederungsvereinbarungen)

Darüber hinaus erklären alle Eingliederungsvereinbarungen in den Zusatzvereinbarungen die „Satzung über die städtischen Wohnplätze für Zigeuner und Landfahrer“ vom 14.01.1965 zu geltendem Recht. (Siehe Anlage B. Übersicht der Freiburger Eingliederungsvereinbarungen)

Das Freiburger Forum aktiv gegen Ausgrenzung bittet Sie, Herr Oberbürgermeister Dr. Salomon, sowie alle Fraktionen des Gemeinderates,

(1) alle antiziganistischen Bestimmungen im Freiburger Ortsrecht umgehend zu streichen;

(2) alle Bestimmungen des Freiburger Ortsrechts, die einzelne Personengruppen diskriminieren – namentlich Obdachlose und Sexarbeiter*innen – umgehend zu streichen;

(3) zu den folgenden Fragen Stellung zu nehmen:
Werden die in Anlage A zitierten Bestimmungen als rechtskräftig und verfassungskonform erachtet?
Wie konnte es passieren, dass ein offensichtlich rassistischer Begriff wie „Zigeuner“ noch immer im Freiburger Ortsrecht vorzufinden ist?
Welche Anstrengungen unternimmt die Stadt, antiziganistische Praktiken in der Freiburger Stadtgeschichte aufzuarbeiten? Welche praktischen Konsequenzen werden daraus gezogen?

Die Umsetzung dieser Forderung sollte der Gemeinderat nutzen, um eine Erklärung zu verabschieden, in der die Stadt ihre Verstrickung in Antiziganismus und die Feindlichkeit gegen Obdachlose und Sexarbeiter*innen bedauert und sich dazu bekennt, sich an der Aufarbeitung dieses Kapitels der Stadtgeschichte aktiv zu beteiligen.

Begründungen

Die aus den Freiburger Eingliederungsvereinbarungen zitierte Bestimmung stellen eine nicht zu rechtfertigende Diskriminierung von Personen und Personengruppen dar und widersprechen dem Selbstverständnis Freiburgs als „offene Stadt“. Mit der Klassifizierung der genannten Personengruppen als „störend“, werden Sinti und Roma, Obdachlose und Sexarbeiter*innen nicht als Teil der Stadt anerkannt und ihr Ausschluss sowie ihre Benachteiligung in verschiedenen Feldern der Gesellschaft befördert und legitimiert.

Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit gegen rassistisch markierte Personen und die Abwertung von Obdachlosen ist ein großes gesellschaftliches Problem. Nach aktuellen Daten stimmen 44,2% der Befragten der Aussage zu »Sinti und Roma neigen zur Kriminalität«. 40,1% äußern, dass sie Probleme damit hätten, »wenn sich Sinti und Roma in meiner Gegend aufhalten«. Und 27,7% bejahen die Forderung »Sinti und Roma sollten aus den Innenstädten verbannt werden«. (W. Heitmeyer: Deutsche Zustände, Frankfurt, S. 37ff.) Die gleiche Studie ermittelt eine verbreitete Abwertung von Obdachlosen.

Antiziganismus, d.h. Rassismus gegenüber als „Zigeunern“ konstruierten Personen und Personengruppen, hat eine lange Geschichte, die bis heute fortwirkt. Sie wird in Diskursen und Vorurteilen tradiert und ist eingeschrieben in Stadtstrukturen und Gesetzestexte. Dies zu überwinden und wirklich zu einer offen Stadt und Gesellschaft zu werden, verlangt die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte des Rassismus. Dies ist im Besonderen in der Stadt Freiburg vonnöten, die auf eine lange Geschichte des Antiziganismus zurückblicken muss:
Einen ersten unrühmlichen Höhepunkt stellt der 1498 in Freiburg einberufene Reichstag dar, auf dem die Vertreibung der „zcigeiner“ aus „den landen teutscher nacion“ beschlossen wurde (Solms 2008).
Während des Nationalsozialismus wurden Freiburger Sinti im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ermordet und in Konzentrationslagern zwangssterilisiert. Die Überlebenden „erfuhren nach 1945 beim Landesamt für Wiedergutmachung eine weitere Entwürdigung in den Gesprächen mit nationalsozialistisch imprägnierten Behördenmitarbeitern, die die geschilderten Leiden und Verluste grundsätzlich anzweifelten oder mit bürokratischen Begründungen vom Tisch wischten.“ (BZ, 29.01.2011). Der Leiter des Freiburger Liegenschaftsamts trat für die „restlose Verjagung“ der zurückgekehrten und zugezogenen Sinti ein und die „Verwaltung drängte die Polizei, scharf gegen „Zigeuner und Landfahrer“ einzuschreiten“. (Mappes-Niediek 2013: 59)
Die in den darauffolgenden Jahren erfolgten „sozialen Projekte“ für diejenigen, die sich nicht vertreiben ließen, blieben von einer antiziganistischen Grundhaltung und der Ausgrenzung der Sinti und Roma auf bestimmte, städtisch randständige Gebiete geprägt. Hiervon zeugen die oben genannten Eingliederungsvereinbarungen sowie die Verhandlungen und Beschlüsse des Gemeinderats bezüglich der „Unterbringung und Betreuung von Problem-, Zigeuner- und Landfahrerfamilien“ an der Opfinger Straße“. So steht in einem Protokoll zu einer dem Gemeinderatsbeschluss vom 8.2.1972 vorangegangen Klausurtagung: „Der Zigeuner sei von seiner Art, Anlage, Denk- und Anschauungsweise her „kein Weißer“, und diese Mentalität könne nicht geleugnet werden. Wolle man ihn sozialisieren, müsse er herausgefordert werden“. Die Verantwortung für den Holocaust, begangenes Unrecht und die fortdauernder Ausgrenzung wurden geleugnet und teils gar umgedreht. Weiter heißt es im Protokoll: Der „Zigeuner“ lebe „in inaktiven Wunschvorstellungen, zumal bei ihm – u.a. zurückzuführen auf die finanzielle Entschädigung nach dem Kriege – immer noch eine Erwartungshaltung ausgeprägt sei“ (D. So. Generalia 433; 1971)

Der Begriff „Zigeuner“ ist eng mit rassistischen Vorstellungen, Ideologien und Praxen verbunden. „Eine begriffsgeschichtliche Aufladung des Terminus ‚Zigeuner_in‘, die mit dem Rückgriff auf tradierte Stereotype und rassistische Images einhergeht sowie diskriminierende Bedeutungsinhalte gleichermaßen reproduziert wie verfestigt, ist […] zu konstatieren“ (Randjelovic 2011: 672). Da es sich bei diesem Begriff um keine Eigenbezeichnung von Sinti und Roma handelt und der Begriff vielmehr von der konstruierten Personengruppe als diskriminierend empfunden wird, sollte der Begriff in keinem gültigen Gesetzestext oder sonstigen öffentlichen Dokument zur Bezeichnung von Sinti und Roma Verwendung finden.

Mit freundlichen Grüßen
Freiburger Forum aktiv gegen Ausgrenzung

Freiburg, den 27.06.2014

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