Isabell und Martin

Die Geschichte von Isabell und Martin, getrennt durch die deutsche Abschiebepolitik

Anfang Juni reisten Vertreter_innen des Roma Centers Göttingen zusammen mit einer Delegation von Rechtsanwält_innen aus Deutschlandund Belgien, Journalist_innen, einer Ärztin, Vertreter_innen von NGOs wie dem Belgrad Minority Center, Karin Waringo von Chachipe sowie Vertreter_innen der Flüchtlingsräte Berlin und Brandenburg nach Serbien, um sich vor Ort mit der Situation von Roma auseinanderzusetzen. Dabei galt ein besonderes Interesse den Lebensumständen von Roma, die aus Deutschland nach Serbien abgeschoben wurden und dem Umgang der serbischen Behörden mit diesen Personen. Von Seiten europäischer Institutionen wird massiver Druck auf die serbische Regierung ausgeübt, die Zahl vermeintlich „falscher Asylsuchender“ einzudämmen und auf diese Weise die seit 2009 erneut geltende Visafreiheit für serbische Staatsbürger_innen zu sichern. In der Folge wird im öffentlichen Diskurs in Serbien der Minderheit der Roma pauschal unterstellt, Schuld an der Gefährdung der Reisefreiheit zu haben und einen zukünftigen EU-Beitritt zu verhindern. Um in Erfahrung zu bringen, wie die serbischen Behörden auf den politischen Druck reagieren und welche Konsequenzen dies für die betroffenen Personen hat, aber auch wie mit so genannten „Rückkehrer_innen“ umgegangen wird, haben wir uns mit Verantwortlichen des Kommissariats für Flüchtlinge und Migration der Republik Serbien und Milan Barać, dem Leiter der Abteilung für internationale Zusammenarbeit der Grenzpolizei im serbischen Innenministerium getroffen und mit ihnen über die getroffenen „Maßnahmen“ gesprochen. Um ein umfassenderes Bild zu bekommen, setzten wir uns darüber hinaus mit Expert_innen des Belgrad Minority Centers, der Rosa Luxemburg Stiftung Serbien sowie der Minderheitenorganisationen Omladinski forum za edukaciju Roma und ROMANI ASVI- ROMSKA SUZA in Verbindung. Auch das Gespräch mit einer Menschenrechtsanwältin von YUCOM und der feministischen Organisation Zenski prostor, die mit Roma-Frauen zusammenarbeitet, führten zu einer Erweiterung unserer Eindrücke. Insbesondere haben wir natürlich verschiedene Romasiedlungen besucht und direkt mit den Betroffenen über deren Lebenssituationen und Erfahrungen gesprochen und diese dokumentiert. Ein ausführlicher Bericht über unsere Reise und die Vorstellung unserer Ergebnisse auf Veranstaltungen wird in Kürze folgen.

Isabell

An dieser Stelle möchten wir zunächst die Geschichte von Isabell und Martin, eines deutsch-serbischen Paares, vorstellen, welches sogar trotz eines gemeinsamen Kindes durch die deutsche Abschiebepolitik voneinander getrennt wurde.

Isabell und Martin haben wir in Pirot in dem kleinen Viertel Novo Mala kennen gelernt. Isabell wird bald 19 und Martin ist 20 Jahre alt. Als wir die beiden treffen, ist Isabell gerade mit ihrem gemeinsamen Sohn Leon Marko zu Besuch. Isabell, Martin und Leon Marko könnten eine unbeschwerte kleine Familie sein, aber Martin sieht seinen sechs Monate alten Sohn zum ersten Mal, weil er noch vor seiner Geburt aus Deutschland abgeschoben wurde.

Kennengelernt haben sich die beiden in Deutschland. Martin und seine Familie hatten in Deutschland Asyl beantragt. Der Vater hatte sich in Serbien Geld geliehen, das er nicht zurückzahlen konnte. Von anderen Leuten im Ort haben wir erfahren, dass viele Roma dort gezwungen sind, sich zu Wucherzinsen Geld von der Mafia zu leihen – können sie dieses nicht zurückzahlen, zerstören diese das Eigentum der Leute und schlagen sie gewalttätig zusammen. Isabell und Martin betonen beide, dass die Familie keine andere Wahl hatte und gehen musste.

In Deutschland lebte Martin mit seinen Eltern und seinem Bruder Daniel in einem Asylbewerberheim. Sie warteten darauf, ob sie in Deutschland bleiben können. Isabell lernte er eines Tages auf der Straße kennen und sprach sie an. Aus der Bekanntschaft der beiden entwickelte sich eine ernsthafte Beziehung. Für die Familie von Martin spitzte sich die Situation währenddessen immer weiter zu – ihre Asylanträge wurden abgelehnt und es drohte ihnen die Abschiebung zurück nach Serbien. Um der Gefahr einer Deportation zu entgehen, willigte die Familie ein, „freiwillig“ auszureisen. Anstatt jedoch nach Serbien zurückzukehren, verlegte die Familie ihren Aufenthaltsort nach Österreich und versuchte dort, erneut Asyl zu beantragen. Für Martin bedeutete dies auch die Möglichkeit, weiterhin in der Nähe seiner Freundin sein zu können. Er erzählt, dass er seine inzwischen schwangere Freundin nicht allein lassen wollte. Isabell sagt, dass sie Angst gehabt hätte, dass Martin nie wieder käme und dass sie sich so weiterhin sehen konnten. Sie fuhr immer wieder über die Grenze um Martin zu besuchen, bis dieser sie eines Tages anrief und sagte, dass sie nicht kommen sollte, weil die Polizei sie alle abgeholt hätte. Die vierköpfige Familie wurde im Juni 2012 verhaftet und in München in Abschiebehaft genommen. Martin sagt, dass sie wie Verbrecher behandelt worden wären, als hätten sie jemanden umgebracht. Die Mutter der Familie, Dragana, wurde unrechtmäßigerweise in ein Frauengefängnis für Straftäterinnen gebracht. Sie selbst beschreibt den Monat in dem Gefängnis als fürchterliche Zeit, ihre Söhne und ihr Mann machten sich sehr große Sorgen um sie. Sie alle hätten ständig geweint. Heute müssen sie lachen, wenn sie sich die Fotos in den Akten anschauen, auf denen sie wie Straftäter_innen abgebildet sind.

Martin

Isabell zeigt uns das Ultraschallbild, dass sie Martin in den Abschiebknast geschickt hat. Dragana freut sich, als sie das Bild ihres Enkels sieht und streicht liebevoll über die Abbildung. Trotz der Schwangerschaft wurde Martin zusammen mit seiner Familie abgeschoben und Isabell blieb alleine in Deutschland zurück.

Seitdem bemühen sich die beiden um einen Weg, wieder zusammen zu sein. Martin wurde für Deutschland eine dreijährige Einreissperre auferlegt und es wird von ihm verlangt, die Kosten seiner Abschiebung zu tragen. Bei der Geburt seines Kindes konnte er nicht dabei sein. Isabell hat einen Anwalt bemüht, dessen Arbeit den beiden jedoch nicht geholfen hat, ihr Ziel zu erreichen. Stattdessen machten die hohen Kosten der alleinlebenden Mutter stark zu schaffen, so dass sie sich über den Tisch gezogen fühlte und sich von dem Anwalt wieder trennte.

Obwohl es aufgrund des gemeinsamen Kindes eigentlich einen Weg für die beiden geben müsste, zusammen zu leben, wirken sie ratlos, wie es weitergehen soll. Die unsichere Situation belastet die beiden stark. Die Zeit, die sie gemeinsam in Serbien verbringen können, ist ebenfalls begrenzt, da Isabell, die alleine Leon Marko betreut, auf Sozialleistungen angewiesen ist, weshalb ihr nur ein zeitlich beschränkter „Urlaub“ zugestanden wird. Die Zeit reichte nicht einmal aus, um einen Termin auf dem deutschen Konsulat auszumachen und wahrzunehmen. Die bevorstehende Abreise von Isabell und Leon Marko lastet schwer auf dem jungen Paar, da vollkommen ungewiss ist, wann sie sich wiedersehen können. Isabell sagt, dass sie nur einmal im Jahr die Erlaubnis hat, Martin zu besuchen.

Wir möchten die beiden gerne unterstützen und bitten euch, für Martin, Isabell und Leon Marko zu spenden, damit sie die Abschiebekosten und eine Anwalt bezahlen und zusammen in Deutschland leben können. Leon Marko sollte sein Recht erhalten, mit seinem Vater aufwachsen zu können.

Isabell und Martin

Spenden bitte auf das folgende Konto:

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K-Nr. 170 399
BLZ 260 500 01

Verwendungszweck: Isabell und Martin

In Serbien lebt die Familie Martins unter sehr schwierigen Umständen. Wie bereits vor ihrer Ausreise nach Deutschland, finden sie höchstens Gelegenheitsjobs, was dazu führt, dass sie zum Teil nicht wissen, wovon sie ausreichend Lebensmittel bezahlen sollen. Das kleine Haus, in dem sie mit zehn Personen leben, ist höchst baufällig, der obere Teil ist nach einem Kurzschluss ausgebrannt. Die Fenster sind zum Teil zerbrochen, die Wände nass und verschimmelt, an vielen Stellen bröckelt der Putz aus den Wänden. Es gibt eine Wohnküche, ein Bad und zwei kleine Zimmer. Im Winter kann nur eines der kleinen Zimmer mit einem Ofen beheizt werden. In Serbien ist die ökonomische Situation vieler Einwohner_innen sehr schwierig. Roma betrifft dies jedoch in besonderer Weise, da sie als Minderheit systematisch ausgegrenzt und diskriminiert werden. Für viele Roma ist es unmöglich, eine reguläre Arbeit zu finden.
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