Erklärung zur Übergabe der Unterschriften des Aufrufs

„PädagogInnen gegen die Abschiebung von Roma in den Kosovo“

an den Petitionsausschuss des Landtags 28.3.2012

3000 Menschen aus dem pädagogischen Bereich haben in den letzten Wochen den Aufruf Pädagoginnen und Pädagogen gegen Abschiebung von Roma in den Kosovo“ unterschrieben, darunter mehr als 200 Professor/innen und Lehrende von Hochschulen und Universitäten und viele Vertreter/innen wichtiger gesellschaftlicher Gruppen und Verbände.

Wir fordern die Landesregierung in Baden-Württemberg auf, die geplanten Abschiebungen endgültig zu stoppen und für diese Kinder und Jugendlichen und ihre Familien eine großzügige und langfristig gesicherte Bleiberechtsregelung zu schaffen. Alle anderen Landesregierungen fordern wir auf, sich diesem Beispiel anzuschließen. Wenn wir vor Ort mit einer drohenden Abschiebung konfrontiert sind, werden wir im Rahmen unseres pädagogischen Auftrags den Kindern, Jugendlichen und ihren Familien Unterstützung anbieten und uns – wenn sie es wünschen – öffentlich gegen die Abschiebung positionieren.

Ein Eintreten gegen die Abschiebung der Kinder ist menschenrechtlich geboten. Diese Kinder sind Teil unserer Gesellschaft und haben ein Kinderrecht auf Bildung und auf Selbstbestimmung.
Wir handeln aus unserer Fürsorgepflicht gegenüber den uns anvertrauten Kindern und Jugendlichen. Eine Abschiebung kann für sie traumatische Wirkungen haben. Wir handeln in der Verpflichtung einer professionellen Beziehung. Die Kinder haben uns Vertrauen entgegen gebracht und dürfen unsere Anteil- und Parteinahme erwarten. Wir handeln aus demokratischer Verpflichtung als Pädagog/innen gegenüber allen Kindern, die die Abschiebung ihrer Freund/innen verunsichert und ängstigt.

Wir handeln aus historischer Verantwortung gegenüber einer der Opfergruppen des Nationalsozialismus. Eine Ausnahmeregelung nur für bildungserfolgreiche Kinder lehnen wir auch aus pädagogischen Gründen ab. Wir setzen auf ein menschenrechtlich begründetes Bleiberecht für alle Betroffenen.

Diese Unterschriften übergeben wir nun vor der entscheidenden Sitzung am Mittwoch 28.3. 2012 dem Petitionsausschuss es Landtags von Baden-Württemberg. Die bisher öffentlich gewordene Diskussion nach der Delegationsreise des Petitionsausschusses deutet darauf hin, dass nicht mit einer gänzlichen Aussetzung der Abschiebungen von Roma in den Kosovo zu rechnen ist. Und dies obwohl niemand ernsthaft die Berichte von UNICEF, Amnesty International und Human Rights Watch bestreitet, wonach dreiviertel der zurückgekehrten Roma-Kinder keine Schule besuchen, sie keine Chance auf Ausbildung haben, kaum eine Familie Arbeit findet, nur wenige Familien eine Wohnung haben und Roma weiterhin systematisch diskriminiert werden.

Der für die allermeisten mit der Abschiebung verbundene völlige Zusammenbruch von Lebens- und Bildungsperspektiven reicht als Abschiebehindernis nicht aus. Gerade für Kinder und Jugendliche, die ihr ganzes Leben in Deutschland verbracht haben und lange hier heimisch geworden sind, ist diese Argumentation zynisch. Es darf nicht von der Situation im Kosovo abhängen, ob Kinder und Jugendliche abgeschoben werden können, die lange ein Teil dieser Gesellschaft sind und ihre Lebens- und Glücksperspektiven mit allem Recht auch nach Maßstäben unserer Gesellschaft definieren.
Über die konkreten Einzelfälle hinaus geht es hier auch darum, ob Deutschland ernst macht mit der durch das neue Staatsangehörigkeitsrecht eingeläuteten Abkehr vom völkischen Blutsrecht und sich zu einer republikanischen Auffassung bekennt. Die grün-rote Regierung will nun mit einer Einzelfallprüfung zumindest für gut integrierte Familien eine Bleibemöglichkeit schaffen. Sie folgt damit dem Beispiel Nordrhein-Westfalens, wo mit Einzelfallprüfung seit 2010 185 Roma abgeschoben wurden. Wir sehen dieser Entwicklung mit größter Skepsis entgegen. Sie öffnet einer Aufteilung in nützliche und unnütze Migrant/innen Tor und Tür und relativiert Kinder- und Menschenrechte. „Das wichtigste sei, dass gut integrierte Roma-Kinder in Deutschland bleiben können“, heißt es aus der SPD. Wer definiert nach welchen Kriterien, wer gut integriert ist? Anstatt sich an einer Logik des Humankapitals zu orientieren, sollte es um die Bedürfnisse und Interessen der Kinder gehen.

Es ist für uns auch eine Frage der politischen Kultur, hier ein deutliches Signal gegen den Nützlichkeitsdiskurs zu setzen. Lebensperspektiven von Nützlichkeitskategorien abhängig zu machen, ist nicht hinnehmbar. Ein Aufenthaltsrecht kann nicht nach der Frage des Nutzens dieser Kinder und ihren Familien erfolgen. Dies wollen wir als PädagogInnen verdeutlichen. Ganz entschieden wenden wir uns gegen die nun offen diskutierte Option, nach der bildungserfolgreiche („gut integrierte“) Kinder für ihre Familie ein Aufenthaltsrecht erreichen können. Diese Verantwortung, die man den Kindern aufbürdet, wenn sie mit ihrem (Miss-)Erfolgen über Wohl und Zukunft ihrer ganzen Familie entscheiden, widerspricht den Kinderrechten und jeglicher Idee von Kinderschutz. Nicht zuletzt  vermissen wir in der Debatte jeglichen Bezug zu der Tatsache, dass die Menschen, über die hier entschieden wird, Angehörige einer der großen Opfergruppen des NS-Regimes sind. Auch aus dieser Perspektive erwarten wir gerade von einer grün-roten Regierung ein anderes Handeln.

30% der „ausreisepflichtigen“ Roma, die allermeisten seit vielen Jahren hier lebend, wurden seit 2009 bereits abgeschoben. Was wir erwarten ist kein Schlussstrich unter die deutsche Geschichte, sondern ein Schlussstrich unter diese Abschiebepolitik. Kein neuerAbschiebestopp für ein paar Monate, sondern eine Bleiberechtsregelung auf Dauer.

Andreas Foitzik und Selcuk Yurtsever-Kneer, Netzwerk rassismuskritische Migrationspädagogik
Prof. Dr. Astrid Messerschmidt, Pädagogische Hochschule Karlsruhe
Prof. Dr. Claus Melter, Hochschule Esslingen
GEW Baden-Württemberg
ver.di Baden-Württemberg

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