Wir alle kennen Abschiebungen – aber dass ein Drittel aller Abschiebungen innerhalb der EU stattfindet, könnte Vielen eher neu sein. Fast dreitausend sogenannte „Dublin-Überstellungen“ waren es im vergangenen Jahr aus Deutschland. Grundlage dafür ist die sogenannte Dublin II-Verordnung. Anders als der Name glauben macht, werden die Betroffenen jedoch nicht nach Dublin, sondern zumeist nach Rom, Mailand, Budapest oder Malta verfrachtet.
Die Dublin II-Verordnung regelt, welches europäische Land für die Bearbeitung eines Asylantrages zuständig ist. Sie folgt dabei mit wenigen Ausnahmen dem Verursacherprinzip. Das Land, welches die Einreise des Asylsuchenden „verursacht“ hat, weil seine Botschaft ein Visum ausgestellt hat oder weil es an der Grenze nicht ordentlich aufgepasst hat, soll für die Prüfung des Asylantrags zuständig sein. Stellt der Flüchtling einen Asylantrag in einem anderen Land und wird dies etwa anhand eines Eintrags in der europäischen Fingerabdruck-Datenbank EuroDAC festgestellt, so erfolgt die Abschiebung in den „zuständigen“ Staat. Die europäischen Zentralstaaten (an ihrer Spitze Deutschland und Frankreich) haben sich damit ihrer Verantwortung für Flüchtlinge auf Kosten der Staaten, die an den europäischen Außengrenzen liegen, entledigt.
Viele Betroffene wehren sich verzweifelt – und auch wir wollen am 30. März an Flughäfen dagegen aufstehen! Denn durch die Dublin II-Verordnung sind Flüchtlinge sogar vor Beginn ihres eigentlichen Asylverfahrens von Abschiebung bedroht. Viele irren jahrelang durch Europa, auf der Suche nach Schutz und auf der Flucht: nicht nur vor den Zuständen in ihrem Herkunftsland, sondern nun auch beispielsweise vor der Haft unter menschenunwürdigen Umständen in Ungarn, vor Obdachlosigkeit und Hunger in Italien, vor völliger Perspektivlosigkeit in Malta oder der Angst vor Rückschiebung in einen Verfolgerstaat von Polen aus.
“Wenn du wissen willst, was Ungarn für Flüchtlinge bedeutet, dann musst du versuchen zu verstehen, was es heißt, sechs Monate in einem Gefängnis zu leben, das nur mit Tramadol [Beruhigungsmittel] zu ertragen ist. Ungarn ist das einzige mir bekannte europäische Land, das Menschen in Hochsicherheitsgefängnisse sperrt, nur weil sie einen Asylantrag gestellt haben. Dabei hat Ungarn die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet.“ (Flüchtling aus dem Iran, in einem Abschiebelager in Ungarn)
2011 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, dass die Flüchtlingssituation in Griechenland einen Bruch der Menschenrechte darstellt. Nahezu alle europäischen Länder mussten daraufhin Rückschiebungen dorthin aussetzen. In Italien ist die Situation nicht besser: viele Flüchtlinge leben zum Beispiel in Plastikplanen-Behausungen neben den Bahnhöfen von Rom, Ostiense oder Ponte Mammolo.
„Wir konnten nicht in Italien bleiben, weil es dort keine Menschenrechte gibt. Wir hatten nichts zu essen. Wir hatten keine Unterkunft. Die grundlegenden Dinge. Ohne ein Dach über dem Kopf lebt man wie ein Tier. Sobald du Papiere erhältst, fordern sie dich auf: „Heute musst du gehen!“ (Flüchtling aus Eritrea, von Abschiebung nach Italien bedroht)
Die „Überstellungen“ nach Malta sind zwar weniger, die Perspektivlosigkeit ist jedoch ähnlich gravierend. Es ist daher kein Zufall, dass es im vergangenen Jahr vor allem Abschiebungen nach Malta waren, bei denen sich die betroffenen Flüchtlinge aus Somalia, unterstützt von AktivistInnen vor Ort, zur Wehr setzten.
„Sie haben mich für 18 Monate in Hal Far [Haftlager in Malta] inhaftiert. Danach habe ich meine Freiheit bekommen und bin in ein Zeltdorf gekommen. Ich habe einen Job für drei Tage bekommen, danach wollte ich zurückkommen. Sie sagten mir: Du hast kein Bett mehr hier, weil du drei Tage nicht unterschrieben hast. Sie sagten: Du bist out of system. Ich habe sie gefragt, wer mir helfen würde, wenn ich out of system sei. Sie sagten zu mir: Denk selbst darüber nach.“ (Flüchtling aus dem Sudan, seit 6 Jahren auf Malta)
Tschetschenische Flüchtlinge erleben geschlossene Lager in Polen als Gefängnisse, wo zudem Essen und insbesondere die medizinische Versorgung völlig unzureichend sind. Darüber hinaus ist die Gefahr der Abschiebung in den Verfolgerstaat Russland der Hauptgrund für die Weiterflucht in andere europäische Staaten.
„In Polen wurde mein Asylantrag zweimal abgelehnt. Dabei bin ich in Tschetschenien mehrmals inhaftiert und gefoltert geworden und ich habe auch Nachweise von der Menschenrechtsorganisation Memorial/Moskau, dass ich und meine Familie bedroht werden. Aber Polen schiebt in die Russische Föderation ab. Wenn ich in Deutschland nicht bleiben kann werde ich weiterreisen.“ (Flüchtling aus Tschetschenien, in Berlin von Kettenabschiebung über Polen bedroht)
Gemeinsam aufstehen!
Widerstand gegen die innereuropäischen Abschiebungen lohnt sich, ganz praktisch gesehen. Denn die Dublin II-Verordnung hat eine Besonderheit: es gibt eine Überstellungsfrist (in der Regel von 6 Monaten), innerhalb derer Deutschland die Abschiebung vollzogen haben muss. Gelingt dies nicht, dann muss der Asylantrag in Deutschland geprüft werden.
“Ich werde mich nicht noch einmal still und heimlich nach Italien abschieben lassen. Wenn wir schweigen, wird sich nichts ändern. Die Situation für Flüchtlinge in Italien ist ein ständiger Bruch unserer Menschenrechte. Ich bin wie viele andere junge Leute vor permanenten Menschenrechtsverletzungen in Eritrea geflohen. Hier in Europa erleben wir erneut, wie wir unter unwürdigen Bedingungen leben müssen.“ (Flüchtling aus Eritrea, am 20.12.2012 von Frankfurt nach Italien abgeschoben)
Wir rufen auf, Flüchtlinge, die sich couragiert für ihre Rechte einsetzen, zu unterstützen! Setzt mit uns am 30. März ein Zeichen: Aufstehen gegen innereuropäische Abschiebungen! Das meinen wir ganz praktisch und fordern zu Zivilcourage auf: organisiert Kirchenasyl, um die Überstellungsfrist von 6 Monaten zu überbrücken. Haltet in Fliegern nach Rom, Mailand, Budapest oder Malta die Augen offen, ob sich möglicherweise unfreiwillige Passagiere im Flieger befinden. Und wenn eine/r aufsteht – stellt Euch solidarisch daneben!
„Ich kann nun klar sehen wie Europa ist, dass es seine Armeen sendet, um uns auf dem Meer zu bekämpfen und uns in schreckliche Gefängnisse steckt. Wir müssen gemeinsam eine zweite Reise beginnen. Eine Reise zu einem anderen sicheren Ort, der vielleicht in Zukunft existieren wird.“ (Eritreische Frau, angekommen auf der griechischen Insel Lesbos).
Wir wollen diese Einladung annehmen. Aufstehen gegen innereuropäische Abschiebungen ist ein erster Schritt. Eine der Stationen dieser gemeinsamen Reise wird der 30. März 2012 sein. Parallel an den Flughäfen Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg und München werden Proteste gegen Abschiebungen innerhalb Europas stattfinden.
Vom 13.-22.Juli 2012 wird dann in Köln ein antirassistisches Aktionscamp stattfinden und am 21. Juli eine große Demonstration am Flughafen Düsseldorf.
Stop deportation! Abschiebungen stoppen!
Für ein anderes Europa, das Willkommen heißt.
Am Freitag, 30.März 2012 in: +++ Berlin (Tegel) um 17 Uhr +++ Düsseldorf um 17 Uhr +++Frankfurt am Main (Flughafenterminal 1) um 17 Uhr +++ Hamburg (Flughafenterminal 1) um 18 Uhr +++ München um 17 Uhr +++
Web: http://dublin2.info/
Kontakt: kampagne@dublin2.info