Das folgende Zeugnis des 16jährigen afghanischen Flüchtlings Amin Fedaii ist erschütternd.
Mehr als 20 Flüchtlinge – fast alle aus Afghanistan – starben am 15. Januar 2011 beim Versuch, aus Griechenland zu entkommen und zu ihren Verwandten und Bekannten in andere europäische Länder zu gelangen.
Das Asylsystem im krisengeschüttelten Mittelmeerstaat Griechenland ist völlig kollabiert, Flüchtlinge finden hier weder Schutz noch Einkommen und häufig nicht einmal eine Unterkunft. Vor diesem Hintergrund sind seit Januar 2011 Rückschiebungen nach Griechenland gemäß der Dublin II – Verordnung aus fast allen EU-Staaten gestoppt, doch die Betroffenen stecken weiter in Athen oder den Hafenstädten Patras und Igoumenitsa unter unerträglichen Bedingungen fest. Während EU-BürgerInnen problemlos ein- und ausreisen können, sitzen die Flüchtlinge in der Falle: eine legale Ausreise wird ihnen verwehrt, obwohl insbesondere Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten wie Afghanistan in vielen EU-Ländern eine gute Chance auf eine Asylanerkennung haben.
Amin hat überlebt und wohnt jetzt in einer Unterkunft für minderjährige Flüchtlinge in Hessen. Doch er hat den sinnlosen Ertrinkungstod von 20 Menschen miterleben müssen, weil ihnen erst Einreise und dann die Rettung verweigert wurde: 20 weitere Opfer eines gnadenlosen europäischen Grenzregimes, das den Tod der Flüchtlinge offensichtlich einkalkuliert.
Mehr als 2.000 Flüchtlinge und MigrantInnen sind allein in den letzten 6 Monaten im Mittelmeer ums Leben gekommen, vor allem beim Versuch, mit Booten aus Libyen und Tunesien nach Italien oder Malta zu gelangen. Tote Körper in Mittelmeer scheinen zur täglichen Routine zu werden. Mit den Körpern gehen Gesichter, Hoffnungen und Träume unter. Dieses tägliche Sterben, ob an der äußeren oder inneren Grenze Europas, ist und bleibt schockierend. Die Toten mahnen und klagen an: Dieses Europa ist nicht sicher, Menschen- und Flüchtlingsrechte verlieren jede Bedeutung! Sie fordern uns, die Lebenden, auf, aktiv zu werden gegen dieses Europa der frontexbewehrten Grenzen und Zäune. Und ein Europa der Solidarität zu erkämpfen und zu erfinden, in dem dieses tödliche Migrationsregime zur überwundenen Geschichte wird, wie einst die dunkelsten Seiten des Mittelalters.
Als ich versuchte aus Griechenland zu fliehen
Als ich im Januar 2011 versuchte aus Griechenland zu fliehen, haben sie uns zuerst mit 200 Leuten in einen LKW gesteckt. Sie haben uns gesagt, der LKW hatte eine Klimaanlage und Belüftung aber das stimmte nicht. Wir hatten schnell nicht mehr genug Sauerstoff und einige von uns fielen in Ohnmacht. Wir begannen an die Bordwände zu hämmern und um Hilfe zu rufen, aber der Fahrer reagierte nicht. Eine Person hatte sich entschieden, nicht mit uns reinzugehen und wir hatten seine Handynummer und so riefen wir ihn an, damit er kommt und uns die Tür aufmacht, wir waren noch nicht weit gekommen. Er kam aber nicht schnell und so hatten wir keine andere Möglichkeit als die Polizei zu rufen. Die holten uns dann aus dem LKW raus und hielten uns eine Nacht auf einer Polizeiwache fest.
Kurze Zeit später starteten wir wieder. Am Meer wurde uns das Schiff gezeigt das uns nach Italien bringen sollte. Das Schiff war offensichtlich in einem schlechten Zustand, aber wir waren sehr verzweifelt und mußten unbedingt einen Weg finden, um aus Griechenland herauszukommen und so gingen wir hinein. Wir waren viele: etwa 260 Leute, hauptsächlich Afghanen. Wir fuhren los Richtung Italien.
Mir war sehr schlecht. Ich lag im untersten Teil des Schiffs und versuchte zu schlafen. Ich konnte nicht wirklich schlafen vor Angst, aber ich war irgendwann doch weg. Dann weckte mich mein Freund: „Hey, steh auf! Wir haben Wasser im Schiff!“ Es gab mehrere Risse. Die Crew versuchte das Wasser abzupumpen aber sie waren nicht erfolgreich. Es wurde 17:00 Uhr und es kam immer mehr Wasser ins Schiff. Ich hatte große Panik, ich hatte das Gefühl, dass das die letzten Minuten meines Lebens sind. Das Schiff verlor mehr und mehr seiner Holzteile. Wir hatten Eimer und mit fünf Personen versuchten wir das Wasser mit diesen Eimern rauszuschöpfen. Wir hatten keine Chance. Die anderen hatten schon alle Hoffnung verloren. Der Kapitän sagten immer noch: „Keine Sorge, wir kommen in Italien an. Es ist nur noch eine Stunde bis Italien.“ Um 19:30 Uhr war das Schiff unten vollgelaufen. Es war vorbei. Der Kapitän versuchte jetzt Hilfe zu finden. Wir riefen auch selbst die italienische Küstenwache an. Sie fragten uns wo wir seien, aber das konnten wir nicht genau erklären. Sie sagten das Wetter sei sehr schlecht und es wurde auch immer stürmischer. Überall weinten und beteten die Leute. Es war kein Land in Sicht und keine Hilfe. Ich weinte und erbrach mich die ganze Zeit und am Ende kam nur noch Blut und so erbrach ich das Blut.
Um 21:30 Uhr hatten wir alle Hoffnung verloren, aber dann sahen wir ein Militärschiff. Wir winkten und riefen, aber sie kamen nicht näher. Es war ein Schiff ohne Flagge. Manche von uns sprachen englisch und sie sagten da sind englische Worte auf dem Schiff.
Nach einer weiteren halben Stunde kam ein großes holländisches Frachtschiff. Unser Schiff hatte inzwischen keine Funktionen mehr. Das holländische Schiff hatte große Lichter und sie warfen Netze und Seile. Aber viele von uns waren in totaler Panik. Sie schubsten und versuchten schnell wegzukommen und dabei fielen viele ins Wasser. Mehr als 20 Menschen starben in dieser Situation. Aber das holländische Schiff rettete auch mehr als 200 on uns. Es war ein holländischer Kapitän aber die ganze Crew, die so viele von uns rettete war von den Philippinen. Ich war unter den letzten 5 Personen die gerettet wurden.
Ein paar Minuten später ging unser Schiff komplett unter. Wir zitterten alle vor Kälte, aber es gab keine Decken. Die italienische Küstenwache verweigerte uns den Zutritt und so brachte uns das holländische Schiff zurück nach Griechenland. Sie starteten gegen Mitternacht und wir erreichten Kerkyra auf der Insel Korfu fast 12 Stunden später, es war gegen 11:00 Uhr am nächsten Morgen. Deshalb denke ich, dass wir wirklich nicht weit von Italien waren. Als wir ankamen, waren da griechische und ausländische Journalisten und Leute vom UNHCR aber auch viel Polizei und sie verboten den Journalisten mit uns zu sprechen.
Sie brachten uns in ein Camp und dann für eine weitere Woche ins Gefängnis. Wir bekamen nur eine Mahlzeit am Tag und auch sonst behandelte uns die griechische Polizei sehr schlecht. Nach einer Woche brachte uns die Polizei zurück zum Festland und dann zweieinhalb Stunden mit dem Bus zu einer Stadt wo sie uns den Bus zurück nach Athen zeigten. Das war im Januar. Im Mai kam ich dann endlich nach Deutschland.
by Amin Fedaii /15. Januar 2011