junge welt von Gitta Düperthal 19.03.2011
Für den 24. März rufen Flüchtlinge aus dem Lager Meinersen in Niedersachsen
und ihre Unterstützer erneut auf, gegen die rassistische Politik des zuständigen Landkreises Gifhorn zu demonstrieren. Im offenen Brief hatten sie bereits am 2. März, einen Tag nach dem Selbstmord des 40jährigen Nepalesen Shambu Lama, die restriktive Flüchtlingspolitik der Ausländerbehörde für den Suizid verantwortlich gemacht. Landrätin Marion Lau (SPD) hatte jeden Zusammenhang bestritten.
Für Nadine Tannenberg, Mutter des zehn Monate alten Kindes des Mannes, der sich auf die Gleise vor den Zug gelegt hat, steht außer Frage, daß die Behörde zumindest Mitschuld am Tod des Flüchtlings trägt: »Niemals hätte er Selbstmord begangen, wenn er eine Chance gehabt hätte, seinen Sohn aufwachsen zu sehen und ihm die Behörde nicht mit Abschiebung gedroht hätte.« Shambu Lamas Vaterschaftsanerkennung habe vorgelegen; er habe sein Kind stets gern besucht und eine liebevolle Beziehung zu ihm gehabt. Deshalb hätte er gute Chancen gehabt, in Deutschland bleiben zu können. Sie habe sogar das Jugendamt hinzugezogen, um den regelmäßigen Kontakt zwischen Vater und Kind belegen zu können, erklärt Tannenberg. Trotzdem habe der Mitarbeiter der Ausländerbehörde Sven Ring ihm noch am Morgen seines Todestags, dem 1. März, erneut angedroht, man würde ihn in zwei Tagen abschieben. Daß ein Eilantrag gegen die Abschiebung, den Anwältin Daniela Öndül beim Verwaltungsgericht Braunschweig eingereicht hatte, zu diesem Zeitpunkt noch nicht entschieden war, verschwieg der Mitarbeiter. Um 15.40 Uhr war Lama dann tot.
Ring habe ihr gegenüber am Telefon erklärt, es sei nicht seine Aufgabe, über den Eilantrag zu informieren. Für Tannenberg steht fest: Die Behörde hat Shambu Lama vorsätzlich glauben gemacht, seine Abschiebung sei definitiv angesetzt gewesen. Häufig habe sie ihn wegen Schikanen der Ausländerbehörde weinen sehen: »Er hat nur Gutscheine erhalten und gesagt, daß er viel zu wenig Geld hat.« Am Montag vor seinem Tod habe er ein letztes Mal seinen Sohn besucht und »völlig fertig« von den Auseinandersetzungen mit der Behörde berichtet: Ring habe ihm sein Besuchsrecht verweigern wollen. Shambu Lama sei ein sensibler und höflicher Mensch gewesen, deshalb habe es ihn besonders getroffen, wie man in der Ausländerbehörde mit ihm umsprang, so Tannenberg. Anderthalb Stunden, bevor er seinen Kopf auf die Bahnschienen legte, habe er ihr noch eine SMS geschickt; sinngemäß: Ich fühle mich wie lebendig begraben, ich wünsche euch aber alles Gute.
Anwältin Öndül äußerte gegenüber jW, der seit 1996 in Deutschland lebende Flüchtling habe wegen des im Grundgesetz verbrieften Rechts auf Schutz der Familie gute Chancen gehabt, zumindest weiterhin geduldet zu werden – auch wenn die Ausländerbehörde die Auffassung vertreten habe, »sein deutsches Kind und seine Vaterschaft interessieren nicht«. Am 24. Februar habe die Behörde Lama die Abschiebung angedroht, woraufhin sie am nächsten Tag den Eilantrag eingereicht habe. Am 28. Februar hatte das Gericht die Behörde gebeten, »bis zur Entscheidung des Gerichts über den Eilantrag von Vollstreckungsmaßnahmen abzusehen«. Am 1.März, um genau 11.41 Uhr, vier Stunden bevor der Flüchtling den Tod suchte, habe die Behörde noch an das Verwaltungsgericht gefaxt, man sei nicht überzeugt, daß zwischen Herrn Lama und dem Kind eine »schützenswerte Beziehung« bestehe.
Tannenberg fordert Aufklärung: »Für meinen kleinen Sohn finde ich es unverzeihlich, was die Ausländerbehörde gemacht hat. Er wird seinen Vater nie kennenlernen können.« Fredegar Henze, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Kreistag Gifhorn, erklärte auf jW-Nachfrage, man werde die letzten Tage des Verstorbenen rekonstruieren, um zu prüfen, ob es einen Zusammenhang mit dem Behördenverhalten gibt.
Protestaktion am 24. März, 14 Uhr, Gifhorn, Steinweg