Eine Bearbeitung der alten Traumata ist … nicht möglich.

ÖFFENTLICHER BRIEF, 1. Februar 2011:

Seit Jahren behandele ich in meiner allgemeinmedizinischen und psychotherapeutischen Praxis auch Flüchtlinge, die in ihrer Heimat schweren Belastungen ausgesetzt waren, deshalb geflohen sind und hier unter den alten Traumatisierungen leiden. Dabei kommen auch  PatientInnen in meine psychotherapeutische Behandlung, die keinen gesicherten Aufenthaltstatus haben und deshalb von fast keinem Psychotherapeuten angenommen werden. Die Arbeit mit diesen PatientInnen ist meist eine stabilisierende, soweit das unter der dauernden Gefahr einer Abschiebung möglich ist. Eine Bearbeitung der alten Traumata ist unter den gegebenen unsicheren Umständen nicht möglich. Obwohl alle diese Menschen dringend Psychotherapie brauchen und davon auch profitieren, können sie unter den Umständen nicht gesund werden. Ihre Situation hier empfinden die meisten Flüchtlinge als re-traumatisierend: hilflos einem anonymen System ausgesetzt, das sie eigentlich nur loswerden möchte.

Die Duldung, die „Aussetzung der Abschiebung“ wird nach nicht verständlichen Kriterien (des Regierungspräsidiums) von den örtlichen Sachbearbeitern der Ausländerbehörde mal auf 2 oder 3 oder 6 Monate, mal nur auf vier Wochen erteilt. Jede Begegnung mit dieser Behörde führt zu einer ernsthaften psychischen Krise. Es besteht immer die Gefahr, dass man diese Verlängerung der Duldung nicht bekommt. Das hieße eine schnelle Abschiebung in das Land, in dem sie traumatisiert wurden. Dies alles gilt für PatientInnen in MEINER Praxis, ich möchte das nicht für alle Flüchtlinge verallgemeinern. Zu meiner psychotherapeutischen Hilfe, oft mit Laien-Dolmetschern übersetzt (weil die Kassen Dolmetscher nicht bezahlen), gehören z.B. auch Gespräche über das Verhalten bei und nach einer Abschiebung – sehr emotionale und schwierige Unterhaltungen mit ganzen Familien, die aber sehr wichtig sind.

Ich halte es nicht mehr aus, PatientInnen zu betreuen, die von einer unmittelbaren Abschiebung in ihr Heimatland bedroht sind. Einer Abschiebung im Namen des deutschen Volkes in das Land, in dem diese Menschen gefoltert, politisch verfolgt, misshandelt oder Zeugen von Massakern wurden. Und ich möchte hiermit laut sagen, dass diese Abschiebungen NICHT in meinem Namen geschehen.

Trotz jahrzehntelanger Erfahrung mit Traumatisierten und sehr gut funktionierenden Selbstschutzmechanismen kann ich diesen Leuten (derzeit überwiegend Roma aus dem Kosovo, die Schlimmstes erlebt haben) nicht mehr in die ängstlichen Augen sehen und habe zum 1. Februar 2011 einen Aufnahmestopp nur für aktuell von Abschiebung bedrohte Menschen in unserer Praxis beschlossen. Da dies aber nicht meine Privatangelegenheit ist, sondern eine öffentliche Handlung (wer steht denn sonst diesen Menschen in Ihrer großen Not bei?), möchte ich diese Entscheidung öffentlich machen. Ich bin tief beschämt, dass ehrliche anständige aber traumatisierte Menschen, die aus verständlichen Gründen nach Deutschland geflohen sind, hier in ständiger Furcht vor der Polizei und anderen Behörden leben müssen. Abschiebungen finden traditionell (!) in Deutschland um ca. 4 Uhr morgens statt. Das große Polizeiaufgebot versetzt die diesmal noch nicht Abgeschobenen in den Flüchtlingsheimen in Angst und Schrecken. Auch dafür schäme ich mich, dass so etwas legal und im Namen des Volkes passiert. Bitte tut etwas gegen diese unerträglichen Zustände !!

Dr. med. Peter Schröder, Arzt für Allgemeinmedizin, Psychotherapie,
Hilfe nach Trauma, Traumatherapie
Tennenbacher Str. 42, 70106 FREIBURG

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