Junge Welt 18.01.2011 / von Gitta Düperthal
Zwei Euro für den Liter Milch in Biberach: Flüchtlinge werden weiter gezwungen, überteuerte Lebensmittel zu kaufen
Biberach: Flüchtlinge werden weiter gezwungen, überteuerte Lebensmittel zu kaufen. Für die Flüchtlinge im baden-württembergischen Kreis Biberach an der Riß hat sich nichts geändert. Immer noch müssen sie morgens in aller Frühe um sieben Uhr Lebensmittel und Kleidung von zweifelhafter Qualität abholen, die ihnen ein Laster der Firma Dreikönig aus Schwäbisch-Gemünd zweimal wöchentlich vor der Gemeinschaftsunterkunft in der Bleicherstraße anliefert. Darüber hatten sich die Bewohner der Unterkunft bereits im August vergangenen Jahres beschwert, und einen von 130 Flüchtlingen unterschriebenen offenen Brief an das Landratsamt geschickt. »Wir nehmen die Vorwürfe sehr ernst«, hatte daraufhin der im Landratsamt zuständige Abteilungsleiter für Soziales, Arnfried Stoffner, damals gegenüber junge Welt gesagt.
»Es wurde viel geredet, besser geworden ist nach fünf Monaten rein gar nichts«, berichtete der Sprecher der Flüchtlingsinitiative Biberach Rex Osa in der vergangenen Woche am Telefon. Besonders erniedrigend sei für die Flüchtlinge, daß ihnen in diesem harten Winter keine Winterschuhe zur Verfügung gestellt worden seien. Viele Flüchtlinge hatten die Annahme von Schuhen minderer Qualität, die den Temperaturen und Schneeverhältnissen nicht entsprachen, boykottiert. Daraufhin habe das Landratsamt, so Osa, eine weitere Demütigung parat gehabt: Wer die Schuhe nicht annehmen wollte, erhielt Gutscheine für einen Diakonie-Laden, der Second-Hand-Schuhe verkauft. Der Sozialamtsleiter Hermann Kienle fand diese Sanktionierung nicht anstößig. Er bestätigte gegenüber jW: »Sie wollten ja keine neuen Schuhe haben, also müssen sie eben die alten nehmen«.
Für Kienle bleibt es dabei: Das Amt verhalte sich gesetzeskonform. »Aus unserer Sicht ist die Versorgung in Ordnung«. Seltsam nur, daß es dann soviele Einwände gibt. »Wir sind ständig dabei, Beschwerden nachzugehen«, versicherte der Behördenleiter. Mittlerweile kommen die Beschwerden auch nicht mehr nur von den Flüchtlingen selber. So beschreibt beispielsweise Dierk Andresen, der für seine lokale Webseite
www.weberberg.de 2003 den Ehrenamtspreis des Landkreises Biberach erhalten hat, in Teil neun seiner Reportage-Serie über Flüchtlinge: Die Bewohner der Gemeinschaftsunterkunft würden genötigt, vom kümmerlichen Betrag von 170 Euro, den sie monatlich für Lebensmittel erhielten, überteuerte Produkte einkaufen zu müssen. Für einen Liter Milch, der im Discounter 69 Cent kostet, müssten die Asylbewerber in Biberach beispielsweise 2,12 Euro an die Zulieferfirma zahlen; für drei Tomaten, für die nach dem Marktwert höchstens mit 85 Cent bezahlt werden dürften, 1,36 Euro. Kienle nennt das »alles bloß Behauptungen« – bestreiten will er die allerdings auch nicht. Er wisse es einfach nicht. Auch das erstaunt. Schließlich sind die geschilderten Mißstände schon seit langem bekannt – und das Amt hatte laut Kienle wegen der anhaltenden Proteste »die Kontrolldichte erhöht«.
Informiert ist auch seit langem bereits die Sozialdezernentin Petra Alger, die bei einem Besuch in der Gemeinschaftsunterkunft im September vergangenen Jahres mit Verweis auf das Asylbewerberleistungsgesetz des Bundes, auf dem Prinzip der Sachleistung beharrte. Die Möglichkeit von Wertgutscheinen oder Bargeld gebe es nur, »wenn Sachleistungen nicht umsetzbar sind«, behauptete Alger. Im Landkreis Biberach sind sie offenbar »nicht umsetzbar«, denn die Flüchtlinge seien schon lange nicht mehr bereit, permanent Einschränkungen ihrer Freiheit hinzunehmen, so deren Sprecher Rex Osa. »Wir sind ungeduldig, und wollen uns nicht mehr als Menschen zweiter Klasse behandeln lassen«
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