Frankfurter Rundschau 03.01.2011 von Claus-Jürgen Göpfert
Laut Pro Asyl sind im Jahr 2010 über Frankfurt Rhein-Main 3270 Menschen in andere Länder abgeschoben worden. Besonders im Kosovo folgen auf die „Rückführung“ oftmals Aussichtslosigkeit, Armut oder Verfolgung.
Sie kommen gerne in den frühen Morgenstunden. Sie: Das sind die „Transportkommandos“ der Frankfurter Ausländerbehörde, die Menschen aus ihren Wohnungen holen, um sie kurze Zeit später auf dem Rhein-Main-Flughafen in einen Jet in Richtung ihrer früheren Heimat zu setzen. „Die Praxis des frühen Rausholens“ nennt das Bernd Mesovic, Referent bei der Hilfsorganisation „Pro Asyl“ in Frankfurt. „Und die heißen tatsächlich Transportkommandos“, fügt er hinzu.
Abschiebung ist Alltag in Frankfurt. Nicht weniger als 3270 Menschen wurden nach den Statistiken von „Pro Asyl“ im vergangenen Jahr über den Rhein-Main-Flughafen ins Ausland gebracht – das war fast die Hälfte der insgesamt 7289 Abschiebungen aus Deutschland über den Luftweg.
Dass die Mitarbeiter der Ausländerbehörde meist früh um 5 Uhr anrücken, ist nach Ansicht von Mesovic „schon Strategie“. Man hoffe, zu diesem Zeitpunkt die betroffenen Personen oder Familien auch anzutreffen. Zum Zweiten wolle die Behörde so wenig öffentliche Aufmerksamkeit wie möglich: Deshalb der frühe Zeitpunkt, an dem der Flughafen noch nicht so belebt ist.
360 Abschiebungen hat allein die Frankfurter Ausländerbehörde in diesem Jahr bis zum 31. Dezember veranlasst – die anderen Abtransporte von Rhein-Main haben Behörden anderer Städte und Gemeinden angeordnet. Auf dem Flughafen-Gelände übergeben die Mitarbeiter der Stadt alle Personen, die Deutschland verlassen sollen, an die Bundespolizei. In der Regel, erzählt Mesovic, gehe das alles „unspektakulär“ von statten. In zwei Dritteln aller Fälle begleiteten die Polizeibeamten die Abzuschiebenden nicht einmal zum Flugzeug. Nur wenn Widerstand möglich oder gar zu erwarten sei, gingen die Vertreter der Bundespolizei mit, „bis zur Flugzeugtür oder zur Gangway“. Oder auch mit an Bord des Flugzeuges. In seltenen Fällen begleiteten die Polizeibeamten die Ausgewiesenen bis in das frühere Heimatland.
Öffentlichkeit gibt es kaum
Eine Öffentlichkeit gibt es für all das kaum. Nur wenige „Abschiebe-Beobachterinnen“ sind auf dem Rhein-Main-Flughafen tätig. Das sind Mitarbeiterinnen der evangelischen und katholischen Kirche, die einzelne Abschiebungen begleiten. Ihr Ziel ist es vor allem, „unangemessene Gewalt“ (Mesovic) der Bundespolizei-Beamten zu verhindern.
Auf dem Schreibtisch des „Pro Asyl“-Referenten Mesovic liegt der jüngste, der noch nicht veröffentlichte Jahresbericht der Abschiebe-Beobachterinnen. Diesem zufolge gab es in den zurückliegenden zwölf Monaten keine besonderen Vorkommnisse. Allerdings: Die offiziellen Zeugen bekommen nur einen Bruchteil der Abschiebungen mit, in der Regel diejenigen, die mittels großer Linienmaschinen ablaufen. „Es gibt viele Menschen, die mit kleinen Chartermaschinen transportiert werden, das wird nicht beobachtet“, sagt Mesovic.
„Pro Asyl“ stellt freilich der Frankfurter Ausländerbehörde insgesamt ein gutes Zeugnis aus. „Frankfurt hat nie den Ruf besonderer Härte gehabt“, resümiert Mesovic, der seit etlichen Jahren den Umgang deutscher Ämter mit Flüchtlingen und Asylbewerbern erlebt. „Der Main-Taunus-Kreis und der Hochtaunuskreis gehen wesentlich härter vor“. So was hört der Frankfurter Ordnungsdezernent Volker Stein (FDP) natürlich gern.
Stein hält der Stadt auch zugute, dass sich die Bedingungen für alle Menschen, die mit der Ausländerbehörde zu tun haben, im neuen Ordnungsamt an der Kleyerstraße verbessert haben. „Die Zeit zum Beispiel, als die Leute bei jedem Wetter draußen unter freiem Himmel Schlange stehen mussten, ist vorbei“.
Zum ersten Mal hat die Frankfurter Ausländerbehörde im vergangenen Jahr erfasst, wieviele Personen bei ihr vorgesprochen haben. Bis zum 31. Dezember lautete die Schätzung auf insgesamt 70.000 Personen.
Auseinandersetzungen bis der Rechtsweg erschöpft ist
Jeder Abschiebung geht eine Ausweisungs-Verfügung voraus. Erst wenn jemand seiner Ausweisung widerspricht und sich weigert, Deutschland zu verlassen, greift die Behörde zum Mittel der Abschiebung. Oft gibt es jahrelange juristische Auseinandersetzungen, bis der Rechtsweg erschöpft ist. Bis in den Morgenstunden die Transportkommandos anrücken.
Auf dem Gelände des Rhein-Main-Flughafens liegt im Transitbereich eine besondere Flüchtlingsunterkunft. Dort leben Menschen, denen die Bundesrepublik nach dem Verlassen des Flugzeugs bereits die Einreise nach Deutschland verweigert. Die Begründung: Ihr Antrag auf Asyl oder auf Aufenthaltserlaubnis sei „offensichtlich unbegründet“.
Nach den Erkenntnissen von „Pro Asyl“ warten in dieser Unterkunft derzeit etwa 60 Menschen auf eine Entscheidung über ihre Zukunft. „In der zweiten Jahreshälfte sind viele aus dem Iran angekommen, eine Folge der Niederschlagung der Demokratiebewegung“, sagt Mesovic. Etliche andere flohen aus Afghanistan – vor dem Krieg.