Frankfurter Rundschau 05.01.11
Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen kritisieren die Abschiebung von Minderheiten in den Kosovo scharf.
Doch das Land Hessen stört sich daran nicht.
Hessen hat Anfang Dezember eine vierköpfige Familie in den Kosovo abgeschoben, die zur Minderheit der Gorani gehört. Eines der Kinder ist noch minderjährig. Das erklärte eine Sprecherin des Innenministeriums auf Anfrage der FR. Zur gleichen Zeit wurde auch ein Kosovo-Albaner zurückgebracht. Hessen wird auch während des Winters die Abschiebungen nicht aussetzen. Rund 250 Angehörigen kosovarischer Minderheiten droht damit die „Rückführung“.
Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen kritisieren die Abschiebung von Minderheiten in den Kosovo scharf. Fast alle zwangsweise zurückgekehrten Roma seien arbeitslos, berichtet Bernd Mesovic von Pro Asyl. Ihnen fehlten Wohnungen, Kinder könnten die Schule nicht fortsetzen. „Seit Jahren hat sich überhaupt nichts gebessert.“
Europarat-Kommissar warnt
Wolfgang Grenz von Amnesty International verwies darauf, dass Nordrhein-Westfalen die Abschiebung für den Winter gestoppt habe. Menschenrechte seien im Kosovo nicht garantiert. Ähnliches beschreibt ein Brief des Kommissars für Menschenrechte des Europarates an Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Darin heißt es: „Die soziopolitische Situation im Kosovo kann keine erzwungene Rückführung von Gruppen rechtfertigen, bei denen ein Risiko der Verfolgung besteht – einschließlich der Roma.“
Das Land Hessen hat im vergangenen Jahr mehr als zehn Angehörige von Minderheiten in den Kosovo abgeschoben, darunter neun Roma. Innenminister Boris Rhein (CDU) sagte jetzt im Landtag, es gebe „keinerlei Anlass, die Abschiebungen zu stoppen“. Entscheidend sei der Einzelfall. Rhein sagte, die Situation der Roma sei längst nicht so kritisch, wie sie gezeichnet werde. Der Minister berief sich auf den aktuellen Bericht des Auswärtigen Amtes zur Lage im Kosovo.
„Die Innenminister lesen den Lagebericht falsch“, entgegnet Grenz. Wer den Bericht richtig verstehe, könne durchaus erkennen, dass die Situation für Minderheiten unzumutbar sei. Timmo Scherenberg, Geschäftsführer des Hessischen Flüchtlingsrates, geht davon aus, dass Roma massiv diskriminiert werden. „Größere Übergriffe sind nicht bekannt, weil sich die Menschen gar nicht vor die Tür trauen.“
Einen Antrag der Linkspartei, alle Abschiebungen in den Kosovo vorläufig einzustellen, lehnten die Regierungsfraktionen von CDU und FDP im Landtag ab. Grüne und SPD enthielten sich. Die Grünen verlangten einen Abschiebestopp – nur für Angehörige von Minderheiten.
Laut den letzten Erhebungen vom Juni 2010 halten sich in Hessen 224 ausreisepflichtige Roma aus dem Kosovo auf, 17 Ashkali, neun Bosniaken und ein Serbe. Ausreisepflichtig bedeutet, dass die Betroffenen jederzeit mit ihrer Ausweisung rechnen müssen – falls sie Deutschland nicht freiwillig verlassen. Insgesamt sind in Hessen fast 5000 Menschen ausreisepflichtig. Die meisten stammen aus dem Iran oder der Türkei. Schon zum Stand August des vergangenen Jahres hatte das Land Hessen 571 Menschen abgeschoben.
Der Lagebericht
Im Text des Auswärtigen Amtes heißt es, die Lage von Roma, Ashkali und Ägyptern im Kosovo sei „geprägt von den wirtschaftlichen Problemen aller in vergleichbarer Situation lebenden Einwohner “. Erschwerend käme hinzu, dass Einzelnen die Registrierung fehle, sowie Dokumente, die für Sozialleistungen nötig sind. Rund 10000 Roma im Kosovo sollen nicht registriert sein.
Viele Häuser seien im Krieg zerstört und nur „notdürftig repariert“ worden, berichtet das Amt weiter. Die Lebensbedingungen der Bewohner seien gerade in den Wintermonaten „schwierig“. Die Sicherheitslage sei außer im Norden stabil. Jedoch sei nicht auszuschließen, „dass es Personengruppen gibt, die weiterhin einer Gefährdung ausgesetzt sind“. Das Auswärtige Amt spricht allgemein von „Racheakten“, die zwar zurückgingen, jedoch teilweise „blutige“ oder „tödliche“ Folgen hätten.
In Lageberichten stellt das Auswärtige Amt grundsätzlich abschiebungsrelevante Tatsachen dar. Rechtliche Bewertungen und Schlussfolgerungen trifft es aber nicht. prite