Junge Welt / 27.12.2010 / von Gitta Düperthal
Flüchtlingslager in Thüringen: Zu Weihnachten Schikanen vom Amt und kein Hausverbot für Neonazis
Von Nächstenliebe haben sie zum Fest nichts zu spüren bekommen: Für den im thüringischen Flüchtlingslager Zella-Mehlis wohnhaften Aserbaidschaner Polat Ahmedov und seine Familie sei es zwei Tage vor Weihnachten völlig unerwartet ganz dicke gekommen, berichtet der zur Hilfe gerufene Unterstützer von »The Voice« Michael Stade im Telefongespräch mit junge Welt. Plötzlich habe die Polizei vor der Tür gestanden und den 40jährigen genötigt, ein amtliches Schreiben zu unterzeichnen, das dieser nicht verstanden hatte. Man habe ihn gedrängt, aus seinen bisherigen Räumen in eine andere Wohneinheit umzuziehen. Dort habe es weder Toilette und Bad noch funktionierende Elektrik gegeben.
Der Hintergrund: Bereits seit langem hatte Ahmedov mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in einem Raum leben müssen, in dem akute Gesundheitsgefährdung durch Schimmelpilz herrscht. Als junge Weltdort im November recherchierte, litten die Kinder unter chronischem Husten. Trotz kritischer Presseveröffentlichungen hatte man die Zustände im Landratsamt Meiningen/Schmalkalden offenbar erst kurz vor Weihnachten registriert. Die Amtsmaßnahme: Statt die Familie über die Weihnachtsfeiertage im Hotelzimmer unterbringen, damit sie sich erholen kann, wurde sie genötigt, in nicht bezugsfertige Räumlichkeiten zu ziehen. Fragt sich, ob es sich dabei um eine von verständnislosen Bürokraten verursachte Panne oder bewußte Schikane handelt. Für den leidgeprüften Flüchtling muß es nach letzterem aussehen, zumal er bereits vergebens beantragt hatte, in eine Wohnung umziehen zu können. Sie wurde ihm ebenso wie eine Arbeitserlaubnis verweigert. Ahmedov ist verzweifelt. Weihnachten im Lager: kein Licht, geschweige denn ein Lichtlein brennt.
Der Familie von Hussein Nassan, die seit 2002 mit vier Kindern in Deutschland lebt, davon sechs Jahre im thüringischen Lager Gerstungen, geht es nicht besser. Die Ausländerbehörde im Wartburgkreis hatte sich für die Familie in der Vorweihnachtszeit eine besondere Überraschung einfallen lassen: Auch dieses Jahr sei beabsichtigt, den erneuten Antrag auf Einzelunterbringung abzulehnen, teilte die zuständige Sachgebietsleiterin für Ausländer- und Asylbewerberangelegenheiten Silke Pridonashvili mit. Gemäß verwaltungsrechtlichen Vorschriften gebe es Gelegenheit, sich nochmals schriftlich zu äußern. Neutraler äußerte sich auf Nachfrage von junge Weltdie Pressestelle des Landratsamts: Die Prüfung des Antrags nach Einzelunterkunft sei noch nicht abgeschlossen. Doch was soll den der Behörde bereits bekannten Erkenntnissen noch hinzuzufügen sein: Nassans Kinder trauen sich nicht, Freunde einzuladen, weil die Wohnverhältnisse beengt und die Toiletten unhygienisch sind. Es gibt keine Privatsphäre, keine Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen, Erkältungskrankheiten grassieren. Laut Artikel drei der UN-Kinderrechtskonvention, gegen die Deutschland im Juli 2010 seine Vorbehalte zurücknahm, hat das Kindeswohl bei allen staatlichen Maßnahmen Vorrang und es besteht die Pflicht, ihm Geltung zu verschaffen. Hier kann davon keine Rede sein.
Im Gerstunger Lager Am Berg 1 gibt es weitere gravierende Probleme. Die politisch Verantwortlichen verhinderten nicht, daß die NPD im November Zutritt zum Lager erhielt. Ein Hausverbot für die Neonazipartei habe nicht bestanden, teilte Friedrich Krauser, Erster Beigeordneter der Kreisverwaltung im Wartburgkreis (CDU), auf Nachfrage von junge Weltlapidar mit. Daß die NPD in einem Bericht auf ihrer Homepage höhnisch die »Abschiebung der anmaßenden Wohlstandsflüchtlinge« fordert, stellt offenbar kein Problem dar. Um künftig die Sicherheit der Bewohner zu gewährleisten, befürwortet Krauser, die Flüchtlinge in eine Art Hochsicherheitstrakt wegzusperren: »Außerdem wird, so wie in der Vergangenheit selbstverständlich auch, kein Besuch in der Gemeinschaftsunterkunft Gerstungen genehmigt, der nicht zuvor beantragt worden ist. Darüber hinaus sichert der Betreiber im gebotenen Umfang die Sicherheit der Bewohner ab, in den Nachtstunden durch die Zuhilfenahme eines Wachdienstes.« Klartext: Die NPD darf auch künftig die Unterkunft »besuchen«, sie muß nur zuvor um Erlaubnis fragen. Unterstützern der Bewohner von »The Voice« wird man hingegen wohl – wie in jüngster Vergangenheit – Hausverbot erteilen