Redebeitrag der Initiative:
Vor etwa einem Monat kamen wir zusammen und gründeten die Hamburger Initiative zu Gedenken an den ermordeten Ramazan AVCI. Wir sind einzelne Personen, die sich anlässlich des 25. Todestages von Ramazan AVCI zu einer Initiative zusammengeschlossen und zu dieser Kundgebung aufgerufen habe.
Heute, auf diesem Platz an diesem Ort des Verbrechens haben wir uns versammelt, um an den ermordeten Ramanzan Avci zu erinnern und seiner zu gedenken. Wir wollen an ihn gedenken und auch an die anderen Opfer von Rassismus erinnern. Vor genau 25 Jahren, heute am 21. Dezember wurde Ramazan Avci an seinem Geburtstag von Skinheads brutal ermordet. Sein Geburtstag wurde sein Todestag! Heute wäre er genau 50 Jahre alt geworden!
Was genau geschah an diesem grausamen Mordtag:
Laut damaligen Quellen randalierten Skinheads in der Gaststätte „Landwehr“ und prügelten drei Türken aus der Kneipe. Drei Stunden später griffen aus dieser Kneipe heraus Skinheads Ramazan Avci, seinen Bruder Veli und einen Freund an, die in der Nähe auf einen Bus warteten. Sie flohen vor ihren Angreifern, wurden mit Bierflaschen beworfen und ein Schuss fiel. Dann gaben die Verfolger scheinbar auf. Doch dann kamen sie wieder, mit Ketten, Baseballschlägern, Axtstielen und Knüppeln bewaffnet zurück. Der Bruder und der Freund konnten sich in letzter Sekunde in einen Linienbus retten. Ramazan Avci blieb zurück, floh panisch auf die Fahrbahn und wurde von einem Auto erfasst und meterweit durch die Luft geschleudert und schlug auf der Straße auf. Ramazan Avci wurde auf dem Boden liegend mit Baseballschlägern, Axtknüppeln und Fußtritten brutal malträtiert. Sie schlugen ihm Beine, Becken, Rippen und den Schädel ein. Sie hatten ihn so schwer traktiert, dass er am Heiligabend dem 24.12.1985 an den Folgen dieser Schläge im Krankenhaus verstarb.
Nur wenige Tage später wurde sein Sohn geboren, der nach ihm benannt wurde. Heute ist der Sohn 25 Jahre alt. Die Stimmung in diesen Zeiten war sehr aufgeheizt, fast täglich gab es Übergriffe auf uns so genannten „Ausländer“. Bereits am 24. Juli 1985 kam Mehmet Kaymakci nach einer brutalen Attacke durch Skinheads ums Leben. „Wir wollten den Türken fertig machen!“, sagten sie später ohne Scheu und Angst. Sie zertrümmerten Mehmet mit einer Betonplatte seinen Schädel. Jede/r machte so seine Erfahrungen mit Ausgrenzungen und Gewalt sowie Hetzkampagnen gegen sogenannte „Ausländer“ und anders denkende. In Stadtteilen wie Wilhelmsburg, Veddel, Bergedorf und St. Pauli und anderswo organisierten sich die Jugendlichen, um sich gegen diese Hetze und Gewalt zu wehren. Viele Jugendliche, die sich zu Selbstverteidigungsgruppen zusammen schlossen (wie die „Bombers“ oder „Champs“ wurden kriminalisiert.
Rechte Jugendliche hingegen wurden oft sogar in Schutz genommen. Die zweite Generation, die Einwandererkinder wollten nicht stillschweigend die Ausgrenzung und die rassistische Gewalt hinnehmen. Unzählige Anzeigen gegen Rassisten wurden damals nicht ernsthaft verfolgt. In den meisten Strafverfahren gegen die Täter wollte man rassistische Motive nur am Rande anerkennen. Die Verharmlosung und Verdrehung der Verbrechen und Tatsachen durch Politik, Medien und der Justiz stärkten den Rücken dieser neonazistischen Gruppen und ermunterte sie zu neuen Verbrechen. Hamburger Neonazis wie Christian Worch, Thomas Wulff, Michael Kühnen, Jürgen Rieger konnten ungestört ihre Strukturen ausbauen und zu dominierenden Figuren der deutschen Neonaziszene aufsteigen. Einer der Mörder Ramazan Avcis, Rene Wulff, orientierte sich an seinem Bruder, eben dem Neonazikader Thomas Wulff.
Rassismus hat viele Gesichter:Beispielsweise in den Anschlägen auf Asylbewerberheime und Wohnhäusern von Migranten: Wir wollen hier an dieser Stelle nur an einige erinnern. Im August 1992 die Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen. Es waren die massivsten rassistischsten Übergriffe der Nachkriegsgeschichte. Während der Ausschreitungen wurden mehrere hundert rechtsextreme Randalierer von einer Menge von zeitweise bis zu 2.000 applaudierenden Schaulustigen weiter ermuntert. Beim Mordanschlag von Mölln in der Nacht auf den 23. November 1992 kamen die zehn- und vierzehnjährigen Mädchen Yeliz Arslan und Ayse Ylmaz sowie ihre 51-jährige Großmutter Bahide Arslan in den Flammen um. Noch während der Löscharbeiten gab es Bekenneranrufe bei der Polizei, die mit „Heil Hitler“ schlossen.
Nach den Progromen in Hoyerswerde und Rostock sowie dem Brandanschlag von Mölln änderte der Bundestag am 26. Mai 1993 den Artikel 16 des Grundgesetzes, das Recht auf Asyl. Drei Tage später erfolgte der Mordanschlag in Solingen. Zwei Frauen und drei Mädchen starben. Die 9-jährige Hülya Genc, die 12-jährige Gülüstan Öztürk, und die 18-jährige Hatice Genc kamen in den Flammen ums Leben. Nach einem Sprung aus dem Fenster erlagen die 27-jährige Gürsün Ince und die noch 4-jährige Saime Genc ihren Verletzungen. Rassismus zeigt sich auch alltäglich in der Benachteiligung von Migrantinnen und Migranten, aber auch Schwarzen Deutschen auf dem Wohn- und Arbeitsmarkt. Oder bei herabwürdigenden Behandlungen – bis hin zu Misshandlungen auf Ämtern, durch Nachbarinnen und Nachbarn, durch Schaffner, Polizei etc. Zeigt sich in rassistischen Sprüchen, Witzen oder Karikaturen.
Institutioneller Rassismus heißt auch die Schlechterstellung von Migrantenkindern und -jugendlichen in der Schule. Der alltägliche Rassismus ist für uns nicht begrenzt auf rassistische Übergriffe. Der staatliche Rassismus, in Form von Sondergesetzen, Unterbringungen in menschenunwürdigen Flüchtlingslagern, Abschiebeknästen ist eine weitere Seite des Rassismus, was zur Ausgrenzung und Entrechtung führt. In diesem Jahr haben sich in Hamburg zwei Menschen in der Abschiebehaft umgebracht, weil sie ihre Abschiebung verhindern und ein Zeichen gegen die unmenschliche Behandlung setzen wollten. Anfang Dezember versuchte Miroslaw R. sich in der Abschiebehaft Billwerder umzubringen. Der Vater verstarb 2002 nach einem Suizid. Aktuell sind bundesweit Tausende Roma und Sinti von Abschiebung in den Kosovo bedroht. Wenn es um Ausgrenzung und Ausschluss von Flüchtlingen und Migrantinnen und Migranten geht, so spricht die europäische Politik ungewohnt mit einer Stimme. Mal wird Italien, mal Griechenland, mal Frankreich oder Spanien wegen des Umgangs mit Flüchtlingen mit erhobenem Zeigefinger ermahnt. Gerne wird vertuscht, dass dies ein Teil der europäischen Strategie ist, um die Festung Europa weiter auszubauen.
So sterben vor den Toren Europas tagtäglich Menschen beim Versuch nach Europa zu kommen, sei es weil sie von der Frontex gejagt werden, sei es weil sie aus den Booten kentern und im Meer ertrinken. So ist unser Verständnis vom Rassismus. Und heute am 25. Todestag von Ramazan AVCI wollen wir bei klirrender Kälte an alle Opfer von Rassismus erinnern und nicht vergessen und auch nicht vergessen lassen. Er steht stellvertretend für alle Opfer des Rassismus. Wir bekunden unsere Solidarität! Und begrüßen alle Aktionen, die sich gegen Rassismus wehren! Wir fordern die Umbenennung des Bahnhofsplatzes auf dem wir uns versammelt haben in Ramazan-Avci-Platz! Denn Gedenken braucht einen Ort! Und wir fordern die Anbringung einer Gedenktafel! Denn wir wollen auch erinnern! Kein Schweigen ! Kein Vergessen ! Kein Vergeben ! Es reicht!