Junge Welt / 21.12.2010 von Gitta Düperthal
Tagung in Jena: Flüchtlinge beraten über Widerstand gegen Behördenwillkür. »The Voice« will Kontakte mit Aktivisten der Hartz-IV-Bewegung aufnehmen
Protest gegen die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünfte
Sie spielen mit unseren Rechten, ob durch Verordnungen oder Gesetze oder mit Schikanen durch Behördenmitarbeiter«, sagte der Sprecher von »The Voice«, Osaren Igbinoba, zum Auftakt der Tagung der Flüchtlingsorganisation in Jena am vergangenen Samstag. Trotz eisiger Kälte und ungünstiger Verkehrsverhältnisse waren Flüchtlinge und ihre Unterstützer aus allen Teilen der Republik angereist, um zu beraten, wie sie den Kampf um ihre Rechte ausweiten können. Igbinoba stellte die Notwendigkeit, dies zu tun, mit dringlichen Worten dar: »Während Flüchtlinge in Bayern einen Hungerstreik gegen das Austeilen von Essenspaketen machen, entmündigt man Asylbewerber anderswo, indem sie statt mit Bargeld nur mit Gutscheinen einkaufen dürfen und so an der Supermarktkasse als Asylbewerber erkennbar werden«.
Die Unterdrückungsmechanismen seien nach wie vor vielfältig und reichten von ständigen Abschiebungsandrohungen über die Residenzpflicht bis zur Unterbringung in Lagern. Neuerlich seien verschärfte Ausweiskontrollen der Besucher sowie das Verhängen von Hausverboten – unter anderem gegen »The Voice« – an Lagerpforten üblich, so daß die Flüchtlinge dort, wo sie wohnen, noch nicht einmal Hausrecht hätten. Aufgabe der lokalen Flüchtlingscommunities in den Lagern sei es nun, Kontakt zu Aktivisten der Hartz-IV-Bewegung und zu Sprechern der Migranten aufzunehmen, »denn die könnten die nächsten sein, die in Lagern eingesperrt werden«, konstatierte Igbinoba. »Wir sind nur Experimentierfeld, wie man mit Menschen umgehen kann, mit denen im Kapitalismus kein Profit zu machen ist«.
Neben einer präzisen Bestandsaufnahme der Probleme in den Lagern der unterschiedlichen Bundesländer waren bei der Tagung in Jena auch Erfolge der Flüchtlingsbewegung Thema. Der Menschenrechtsaktivist Salomon Wantchoucou aus Benin berichtete, Flüchtlingen in der heruntergekommenen ehemaligen Kaserne in Möhlau im sachsen-anhaltinischen Landkreis Wittenberg sei es durch ausdauernden Protest gelungen, die Schließung des Lagers 2011 zu bewirken.
Samuel Rufus aus Nigeria erzählte vom Erfolg des bayerischen Hungerstreiks gegen die Ausgabe von Essenspaketen statt Bargeld. Im Augsburger Lager, Neusässer Straße, hätten einige wegen körperlicher Schwäche den Streik abgebrochen, andere stünden jedoch bereits in den Startlöchern, die Aktion wieder zu verstärken und die Annahme der Essenspakete zu verweigern. Am heutigen Dienstag um 13 Uhr wollen in Bayern lebende Flüchtlinge und ihre Unterstützer vor dem Münchner Sozialministerium (Winzererstraße/Schellingstraße) das ihnen zugeteilte Essen auf die Straße werfen, kündigte er an. Enttäuscht sei man über »den unchristlichen Kommentar« der bayerischen Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU), die sinngemäß gesagt habe: Wem es hier nicht passe, der könne ja in sein Herkunftsland zurückgehen.