Junge Welt 18.12.2010 von Gitta Düperthal
Delegierte aus Asylbewerberunterkünften mehrerer Bundesländer treffen sich in Jena
Wenn sich die Flüchtlinge der Organisation »The voice« am heutigen Samstag in der Friedrich-Schiller-Universität in Jena versammeln, werden sich Delegierte aus Asylbewerberunterkünften mehrerer Bundesländer zu Wort melden. Ziel der Konferenz ist, »das Netzwerk der Flüchtlinge über die ganze Republik zu spannen«. Aktivisten aus Lagern in vielen Teilen der Republik werden über die trotz aller Proteste weiterhin katastrophalen Zustände berichten: Zum Beispiel, daß sie im baden-württembergischen Biberach immer noch nur ungenügend mit Essenspaketen versorgt werden und mitunter sogar hungrig bleiben müssen, oder über die Kälte in schimmligen Räumen im thüringischen Zella-Mehlis. Zur Diskussion steht, wie der mutige Hungerstreik der Flüchtlinge in Bayern zu unterstützen ist. »Deutsche Lagermentalität zieht sich durch Gesetze und Verordnungen und wird von Behörden rigoros umgesetzt«, so Osaren Igbinoba, Sprecher von »The voice«. Die Flüchtlinge fordern weiterhin die Abschaffung der Lager, der Residenzpflicht, die die Bewegungsfreiheit von Asylbewerbern einschränkt, sowie einen generellen Abschiebestopp.
Weiteres Thema der Flüchtlingskonferenz werde die aktuell in Deutschland geschürte »Integrations-Haß-Kampagne« sein, so Ralf Santana Lourenco von der »Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und Migranten«. Von namhaften Politikern, unter anderem dem saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller (CDU) oder dem SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel, sei eine gefährliche Debatte um die angebliche Integrationsunwilligkeit von Migranten angezettelt würden. In diesem Zusammenhang seien vor allem Muslime zum Feindbild stigmatisiert. Lourenco ist überzeugt: »Diese Debatte dient zu nichts anderem, als in wirtschaftlichen Krisenzeiten die Klassengesellschaft am Laufen zu halten.« Die Diskriminierung bestimmter Bevölkerungsgruppen gehe letztlich auch an den Deutschen nicht vorbei. »Entwürdigende Entdemokratisierung zieht sich durch bis zu den Hartz IV-Beziehern«, so Lourenco.
Ihre Konferenz werden die Flüchtlinge im Gedenken an Oury Jalloh abhalten. »Wir denken voller Wut und Trauer an den Tod des aus Sierra Leone stammenden Asylbewerbers«, so Osaren Igbinoba. »Er war einer von uns.« Über den 21jährigen, der im Januar 2005 qualvoll im Dessauer Gefängnis starb, war zunächst eine ungeheuerliche Legende verbreitet worden: Der an Händen und Füßen gefesselte Jalloh soll angeblich selbst die Matratze in der Zelle Nr. 5 des Dessauer Polizeireviers in Brand gesetzt haben, hieß es. Erst nach andauernden Protesten sei das Verhalten des diensthabenden Polizeibeamten zur Sprache gekommen, der mehrfach den Feueralarm ausschaltete, bis er sich zur Zelle begab, moniert Igbinoba. Auf die Frage, auf welche Weise das Feuerzeug in die Zelle gelangt sein soll, gebe es bis heute keine Antwort. Fast sechs Jahre danach werde das Gerichtsverfahren gegen den verantwortlichen Polizisten Andreas S. verschleppt und verzögert, kritisiert »The voice« auf ihrer Internetseite www.thevoiceforum.org.
Das Landgericht Magdeburg hatte den Prozeß, der ursprünglich am 25. Oktober beginnen sollte, kürzlich erst wieder wegen Erkrankung des Angeklagten auf den 12. Januar 2011 verschoben. Die Vorsitzende Richterin der 1. Strafkammer am Landgericht Magdeburg hat für die geplanten 21 Verhandlungstage verschärfte Sicherheitsbestimmungen angeordnet.
Program & Invitation: The VOICE Conference: In Memory of Oury Jalloh – On Racism, Police Brutality and Discrimination in Germany http://thevoiceforum.org/node/1897