Badische Zeitung 29. Oktober 2010
„Gestern Mahnwache in Seelbach für die in den Kosovo abgeschobene Familie Tatari.“
SEELBACH. Der Fall der Familie aus Seelbach, die durch eine Abschiebung von vier Familienmitgliedern in den Kosovo getrennt wurde, lässt die Gemeinde nicht zur Ruhe kommen. Anfang der Woche trafen sich Freunde, Verwandte und Bekannte der Familie und haben beschlossen, den Tataris zu helfen. Sie haben einen Unterstützerkreis gegründet, gestern am frühen Abend fand eine erste Mahnwache statt, zu mehr als 60 Menschen kamen, darunter auch Bürgermeister Thomas Schäfe.
„Wir wollen und werden die Abschiebung nicht einfach so hinnehmen“, sagt Ellen Janka. Die Jugendbeauftragte der Gemeinde Seelbach ist einer der Menschen, die sich im Unterstützerkreis für die Familie Tatari engagieren. Vier Mitglieder der sechsköpfigen Familie wurden am Donnerstag vergangener Woche in den Kosovo abgeschoben, nur die beiden älteren Kinder durften in Deutschland bleiben (die BZ berichtete). In Teilen der Gemeinde herrscht große Betroffenheit und Wut über die Abschiebung.
Gestern gab es nun die erste sichtbare Aktion. Um 17 Uhr trafen sich mehr als 60 Menschen vor dem Haus der Familie zu einer Mahnwache. „Wir wollen die Öffentlichkeit auf den Fall aufmerksam machen“, so Janka. Die Mahnwache soll künftig jeden Donnerstag gehalten werden. Der Tag ist gewählt, um an die Abschiebung zu erinnern, die ebenfalls an einem Donnerstag stattfand.
Tief betroffen zeigten sich auch Freunde der nun in den Kosovo abgeschobenen Kinder. Sophia Ferrante (15) ist eine sehr gute Freundin von Erson: „Ich bin fassungslos. Ich muss mich immer ablenken und etwas tun, das hilft mir. Ich bin froh, dass heute so Viele da sind, vor allem auch an Erwachsenen, dass man sieht, dass das denen nicht egal ist.“ Auch der 15-jährige Vladislav Krom, bester Freund und Klassenkamerad von Erson äußerte sich: „Ich versuche den Schmerz zu unterdrücken, ich kann es nicht verstehen. Ich habe neulich mit Erson telefoniert, es hat total weh getan seine Stimme zu hören.“ Und Ersons Ex-Freundin Laura Petrovic (14): „Ich vermisse ihn total. Ich bin froh, dass heute so Viele gekommen sind und ich nicht alleine mit meiner Trauer bin.“
Die Gruppe um Ellen Janka hat es sich zudem zur Aufgabe gemacht, die Tataris sowohl finanziell, als auch juristisch zu unterstützen. So wurden zwei Spendenkonten eingerichtet, in der Werkrealschule und der Realschule von Seelbach habe es bereits Sammlungen unter Schülern und Eltern gegeben haben. Und Lehrer und Schüler wollen demnächst zusammen mit Sportvereinen Kuchen und Waffeln auf dem Bauernmarkt und dem Katharinenmarkt verkaufen und das Geld spenden.
Noch wichtiger ist die juristische Unterstützung. „Wir wollen irgendwie versuchen, die Familie wieder zurück zu holen“, sagt Janka. Auch wenn nur wenig Hoffnung bestehe, man werde alle Möglichkeiten prüfen. Dafür soll nun ein Anwalt engagiert werden, der in Offenburg ansässige Reinhard Kirpes. Er ist Spezialist für Asylrecht und hat schon des Öfteren Menschen aus dem Kosovo vor einer Abschiebung dorthin bewahrt. „Wenn die Abschiebung erst mal erfolgt ist, ist es allerdings sehr schwer, sie wieder zurückzuholen“, sagt Kirpes. Was für ihn aber kein Grund sei aufzugeben. Besonders im Falle des 16-jährigen Sohnes, Erson Tatri, könne es sich lohnen alle rechtlichen Schritte zu prüfen.
Erson galt als besonders gut integriert, war Schülersprecher an der Werkrealschule Seelbach, erhielt einen Preis für soziales Engagement. Bei ihm sieht Kirpes am ehesten Chancen für eine Rückkehr. Dass zumindest Erson zurückkommen kann, ist auch das Minimalziel der Unterstützer. Die Hoffnungen gehen weiter: „Vielleicht lässt sich ja ein Formfehler nachweisen und die ganze Ausweisung muss rückgängig gemacht werden“, sagt Ellen Janka. Auch wenn sie weiß, dass das sehr unwahrscheinlich ist. Wahrscheinlich oder nicht, „es geht darum, ein Zeichen zu setzen“, meint Bürgermeister Thomas Schäfer. Er nahm gestern Abend ebenfalls an der ersten Mahnwache teil.
Die beiden in Seelbach zurück gebliebenen Geschwister Belkiza (18) und ihr Bruder Gzim Tatari (17) wohnen jetzt bei ihrer Tante. Auf die Frage nach der Nacht, als ihre Eltern und Geschwister von der Behörde abgeholt wurden, antwortete Gzim mit Tränen in den Augen: „Das muss man nicht erlebt haben. Es war schrecklich. Das ganze Leben verändert sich auf einen Schlag.“ Und Belkiza: „Ich vermisse am allermeisten meine Mutter. Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll.“
Info: Spendenkonten: Stichwort: „Spenden Fam.Tatari“, ev. Pfarrgemeinde, Sparkasse Offenburg, BLZ: 664 500 50, Kto: 489 1702; oder über: kath. Pfarrgemeinde; Volksbank Lahr BLZ: 682 900 00, Kto: 15017830