Viele Initiativen in Deutschland sind nicht bereit zuzusehen, wie Menschen aus ihrer Mitte abgeschoben werden. Insbesondere dem Netzwerk „Freiburger Forum aktiv gegen Ausgrenzung“ ist es bereits mehrfach gelungen, Abschiebungen zu verhindern – erst gestern wieder. Wir (ProAsyl) sprachen vorher mit drei der vielen aktiven Freiburgerinnen und Freiburger über ihre Arbeit und ihre politische Ziele.
Donnerstagmorgen zwischen 2.30 und 4 Uhr morgens in Freiburg: Rund 70 Menschen blockieren den Aufgang zu einer Flüchtlingsunterkunft, um die Abschiebung einer Familie nach Serbien zu verhindern. Die Polizei versucht die Aktivistinnen und Aktivisten davon zu überzeugen, die Familie wolle sich angeblich freiwillig mitten in der Nacht von der Polizei abholen lassen, um per Sammelabschiebung nach Serbien geschafft zu werden, versuchte es mit Strafandrohungen, doch am Ende ist die Blockade erfolgreich: Vorerst kann die Abschiebung verhindert werden.
Wie machen die Freiburgerinnen und Freiburger das – was treibt sie an, wodurch sehen sie ihren Ungehorsam legitimiert und wie läuft das konkret? Noch vor der Abschiebung in der Nacht zum Donnerstag sprachen wir mit Albert, Rosa und Philipp, die sich im „Freiburger Forum aktiv gegen Ausgrenzung“ gegen Abschiebungen einsetzen.
Am 6. Dezember habt Ihr Medienberichten zufolge bis zu 1.200 Menschen für eine Demonstration gegen die geplanten Asylrechtsverschärfungen und eine damals bevorstehende Sammelabschiebung in Länder Ex-Jugoslawiens mobilisiert… eine beachtliche Zahl für eine Stadt wie Freiburg!
Albert: Das ist der Erfolg unserer kontinuierlichen, langjährigen Öffentlichkeitsarbeit.
Rosa: Wir versuchen, auf verschiedenen Ebenen Solidarität zu erzielen: Von wenigen Leuten, die eine Veranstaltung organisieren, über den „Tag X“-Verteiler mit zurzeit über 100 Leuten, die konkret zu Mahnwachen im Fall von Abschiebungen kommen.
Philipp: Viele Freiburger Bürgerinnen und Bürger haben den Appell des Freiburger Forums unterschrieben, dass wir nicht akzeptieren werden, dass Menschen aus Freiburg abgeschoben werden. Wir wollten gleich zu Beginn einen gesellschaftlichen Konsens schaffen, dass Abschiebungen nicht legitim sind und man sich aktiv dagegen wehrt.
Albert: Zudem haben wir unseren Rechtshilfefonds. Wichtig ist für uns, dass die Ebenen der Einzelfallarbeit und der politischen Arbeit nicht auseinanderfallen, sondern verknüpft sind. Bei diesen 1.200 Demonstranten waren auch sicher 150 bis 200 Roma aus den Flüchtlingswohnheimen dabei. Sie haben sich getraut, zu kommen, weil sie uns kennen.
Eure Proteste richten sich insbesondere gegen die Abschiebung von Romaflüchtlingen. Wie hat sich das ergeben?
Albert: Von 1.200 Flüchtlingen, die hier leben, sind ungefähr 900 Roma.
Rosa: Zu der relativ großen Zahl kommt der große Bedarf an Solidarität. Den Roma wird das Recht auf Asyl und damit auch ein Bleiberecht in Deutschland zurzeit verstärkt abgesprochen.
Mit der Stimme des grünen baden-württembergischen Ministerpräsidenten wurde 2014 das „Sichere Herkunftsländer“-Gesetz durch den Bundesrat verabschiedet. Es hat den Zugang insbesondere für Roma aus bestimmten Balkanstaaten zu fairen Asylverfahren in Deutschland versperrt. Freiburg hat ja auch einen grünen Oberbürgermeister. Gehört das grüne Milieu zu jenen, die mit Euch protestieren?
Albert: Es gibt in Freiburg einen offiziellen Gemeinderatsbeschluss gegen die Abschiebung von „langjährig hier lebenden Flüchtlingen“, auch als Folge unserer Öffentlichkeitsarbeit. Gleichzeitig will man nicht von hier aus gegen die Politik der Landesregierung Position beziehen. Ein grüner Oberbürgermeister in einem grün regierten Land hat „natürlich“ auch Parteiloyalitäten zu bedienen. Zweitens existiert im grünen, im bildungsbürgerlichen Milieu eine starke Distanz zu den Roma, die klassischerweise nicht die akademisch gebildeten politischen Aktivisten sind.
Rosa: Eine sehr starke Solidarität und einen starken Willen, Abschiebungen zu verhindern, erleben wir zurzeit aus dem Umfeld der Schulen und Kindergärten, die die Betroffenen besuchen. Außerdem bilden sich in Freiburg wie in anderen Städten verstärkt HelferInnenkreise. Auch von dort bekommen wir Unterstützung.
Vor dem Hintergrund des Gemeinderatsbeschlusses gegen Abschiebungen: Wie reagiert die Lokalpolitik auf Euch?
Albert: Wir sind als Teil der Freiburger Gesellschaft akzeptiert. Aber die Bereitschaft der Stadt, konkrete Inforationen weiterzugeben, ist sehr, sehr begrenzt.
Philipp: Die Stadt weiß, wann Abschiebungen stattfinden. In den Flüchtlingswohnheimen schließen städtische Hausmeister der Polizei die Türen auf. Das Ausländeramt setzt den Stempel der Wiedereinreisesperre auf die Papiere. Diese symbolische „Wir sind auch gegen Roma-Abschiebungen“ führt also nicht zu Widerstandshandlungen durch die Stadt.
Um Abschiebungen zu verhindern, organisiert Ihr unter anderem Mahnwachen vor Flüchtlingsunterkünften. Zuletzt, am 24. März, ist es leider nicht gelungen. Ein 20-Jähriger wurde nach Serbien abgeschoben. Seine Geschichte habt ihr tags darauf bei einer „Tag X plus 1“- Kundgebung öffentlich gemacht. Warum?
Rosa: Mit der „Tag X plus 1“-Kundgebung am Tag nach der Abschiebung wollen wir erreichen, dass Abschiebungen – wenn wir sie schon nicht verhindern konnten – nicht unbemerkt ablaufen. Die Betroffenen sind keine überzähligen Menschen, die man ohne Reibungsverluste wieder los wird. Sie gehören vielmehr als EinwohnerInnen zu unserer Stadt. Auf dem Rathausplatz und in der Innenstadt wollen wir das Erinnern an sie ermöglichen.
Philipp: Früher waren wir ja noch relativ kleines Grüppchen. Da haben wir uns den Tag X plus 1 zugetraut. Mittlerweile machen wir auch den „Tag X“: den Versuch, die Abschiebung durch physische Präsenz zu verhindern. Mittlerweile haben wir die Basis, zu dieser Form des zivilen Ungehorsams aufzurufen. So wie wir auch den Baden-Airpark in die Öffentlichkeit rücken, von dort aus fliegen die fast monatlichen Sammelabschiebungen nach Serbien.
Wie ist die Reaktion der Polizei zum Beispiel bei einer Mahnwache?
Rosa: Bisher wurde niemand durch die Polizei von der Mahnwache vertrieben. Allerdings war bei der „Tag X plus 1“-Kundgebung am 25. März die Polizei mit einem völlig unangemessenen Aufgebot da. Das war ungewöhnlich.
Philipp: Womöglich fühlt man sich inzwischen auf den Schlips getreten, angesichts der Bereitschaft von Menschen in Freiburg, aktiv gegen gewisse Gesetze und Normen vorzugehen.
Es könnte also sein, dass es einen Paradigmenwechsel gibt?
Albert: Es gibt ja inzwischen die klare Ansage des Innenministeriums und des Ministerpräsidenten, dass man zugunsten der syrischen Flüchtlinge Platz schaffen will. Es ist ein doppeltes Spiel: Wir zeigen uns humanitär und offen für die Syrer – was ja auch nicht so ganz stimmt, aber so dargestellt wird. Damit wird die Legitimation erzeugt, die Roma rauszudrücken. In den letzten Monaten hatten wir mehrere Abschiebefälle. Ich rechne damit, dass es mehr werden. Das heißt, die Frage nach Blockaden als Form des zivilen Ungehorsams wird sich immer wieder stellen.
Wie rechtfertigt ihr Euren zivilen Ungehorsam vor der Öffentlichkeit?
Rosa: Wie rechtfertigt man Abschiebungen? Menschen, die hier leben, werden von der Polizei abgeholt, um in ein Land gebracht zu werden, aus dem sie Gründe hatten, zu fliehen. Das wollen wir nicht zulassen.
Albert: Im Hinblick auf Roma-Abschiebungen haben wir deutlich gemacht, dass sie in ihren Herkunftsländern massiven Diskriminierungen unterliegen. Unter dem Begriff eines humanitären Bleiberechts hätte man gute Gründe dafür, die Roma als schutzbedürftige Gruppe anzuerkennen.
Philipp: In einem anderen Kontext würde man nicht von Abschiebung, sondern von Entführung und Verschleppung sprechen. Abschiebungen müssen deligitimiert werden, das ist meine Motivation. Dazu kommt die historische Verantwortung für die Jahre des Faschismus und der Verfolgung der Roma.
Wie weit sollte Eurer Meinung nach ziviler Ungehorsam gehen? Wo ist Eure Grenze?
Albert: Wir rufen zur gewaltfreien Form des zivilen Ungehorsams auf. In zwei Fällen konnten wir Abschiebungen nicht verhindern, weil sie nicht angekündigt waren. Es gab keine Möglichkeiten zu Mahnwachen oder Formen zivilen Ungehorsams. Das muss politisch skandalisiert, Informationen transparent gemacht werden. Die Abschiebepraxis läuft auf Basis der Heimlichkeit. Sie steht völlig im Widerspruch zum Prinzip der offenen Information und der Bürgerbeteiligung.
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