Im Horizont eines transnationalen Aufbruchs

Solidarität und die Suche nach gemeinsamen Kämpfen in rasanten Zeiten         Flugblatt

Auch wenn die Proteste gegen den G-8 in Rostock 2007 mutmachend verliefen, überwog in der Rückschau dennoch abwartende Zurückhaltung. Ab Herbst 2008, mit Beginn der großen Finanzkrise, hofften viele auf eine neue antikapitalistische Bewegung, doch es blieb weitgehend bei einer „passiven Delegitimation“ des Systems. Der neoliberale Kapitalismus offenbarte die Abgründe seiner Logik, aktiver Widerstand gewann hingegen nirgendwo an Dynamik. Vereinzelung, Angst und Ohnmacht prägten die Lage, Erfahrungen kollektiver Gegenwehr erschienen allenfalls als isolierte Ereignisse.

Vielleicht waren die IWF-Riots 2009 in Griechenland bereits die Vorboten, Anfang 2011 beginnt jedenfalls ein rasanter Aufbruch: „Die Dynamik des arabischen Frühlings strahlt aus in die ganze Welt. Die Aufstandsbewegungen im Maghreb machen Mut und Hoffnung, nicht nur weil despotische Regime verjagt werden, die vor kurzem noch unüberwindbar erschienen. So offen die weiteren Entwicklungen bleiben, im Dominoeffekt der tunesischen Jasminrevolution meldet sich in atemberaubender Schnelligkeit die alte Erkenntnis zurück, dass Geschichte von unten gemacht wird.“

Am 15. Oktober 2011 fanden gleichzeitig in über 900 Städten in rund 90 Ländern der Erde Proteste und Aktionen statt. Es war nicht der erste und nicht der größte globale Aktionstag, doch er markiert eine neue Qualität. Mit der Gleichzeitigkeit, in der sich in vielen Regionen aufeinander bezogene soziale Massenbewegungen neu entwickeln und den Krisen- und Sparregime die Stirn bieten, blitzt das Potential eines transnationalen Aufbruchs auf. Tunis ist nicht Madrid, Athen ist nicht Frankfurt. Nicht in der Betroffenheit, nicht in den Widerstandsformen. Doch in den unterschiedlichen Kämpfen gegen die weltweite Prekarisierung pulsiert eine Verbundenheit, mit der sich neue Brücken schlagen lassen im und gegen das globale Ressourcen- und Ausbeutungsgefälle.

// Globale Soziale Rechte aneignen! // http://transact.noblogs.org // November 2 011 //

Hungerstreik der 300 MigrantInnen in Griechenland im Januar 2011 Kurze Zeit später drohte der arabische Frühling zwischen Bürgerkrieg und NATO-Intervention in Libyen aufgerieben zu werden und von Bahrein über Jemen bis Syrien dominierte die militärische Unterdrückung. Doch im Mai starten massenhafte Platzbesetzungen in Spanien, dann im Juni quasi zeitgleich neue Wellen der Mobilisierung in Athen bzw. Kairo. Der Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit sucht sich kurz darauf mit den Riots in London einen völlig anderen Ausdruck als im parallel stattfi ndenden Zeltstadtprotest und in den Massenhappenings in Tel Aviv. Und mit der Occupy-Bewegung in den USA schwappt rechtzeitig zum 15. Oktober die Protestwelle über New York und London sogar bis nach Frankfurt und Berlin. Das zunehmende Wissen über globale Zusammenhänge, über Aufstände und Bewegungen an anderen Orten, in Echtzeit vermittelt durch neue Möglichkeiten der Massenkommunikation, inspiriert Menschen, selbst auf die Straße zu gehen. Ein Aufbegehren hat sich verbreitet, das geografi sche Distanzen und unterschiedliche gesellschaftliche Kontexte zu überspringen vermag.

Während zentrale Impulse des Aufbruchs aus Nordafrika kommen, ist die Situation südlich der Sahara ungleich schwieriger und widersprüchlicher. So haben beispielsweise gezielte Spekulationen auf Agrarrohstoffe die Lebensmittelpreise massiv in die Höhe und die Menschen in die weitere Verarmung getrieben. Und die notgedrungene Rückkehr der im Krieg in Lybien zwischen die Fronten geratenen afrikanischen MigrantInnen hat die Situation in den Herkunftsländern verschärft, welche die neoliberale Rosskur im Rahmen von IWF-Strukturanpassungsprogrammen seit den 1980er Jahren in mehreren Wellen durchlaufen haben. Zugleich macht der Tod von über 2000 – vor allem afrikanischer – Boatpeople im Mittelmeer das Jahr 2011 zu einem der grausamsten in der Geschichte des EU-Grenzregimes.

Unser Einsatz für globale soziale Rechte folgt einem Transnationalismus, der zwischen Solidarität und der Suche nach gemeinsamen Kämpfen pendelt. Für das Recht zu gehen wie für das Recht zu bleiben, gegen das Grenzregime wie gegen den Landraub, für globale Bewegungsfreiheit wie für gerechte, selbstbestimmte Entwicklung. Wir spinnen Fäden in alltäglichen Initiativen wie in symbolischen Kampagnen: zwischen Bremen und Bamako, zwischen Berlin und Tunis, zwischen Wien und Bologna, zwischen Hanau und Athen. Die Zeiten sind bewegter denn je, der Horizont ist aufgespannt: „Der Aufbruch in Nordafrika zeigt, was alles möglich ist. Es geht um nicht weniger als um ein neues Europa, ein neues Afrika, eine neue arabische Welt. Es geht um neue Räume der Freiheit und Gleichheit, die es in transnationalen Kämpfen zu entwickeln gilt: in Tunis, Kairo oder Bengazi genauso wie in Europa und den Bewegungen der Migration, die die beiden Kontinente durchziehen.“

 

 

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